„Frage: Herr Schäfer, ich habe es noch nicht ganz verstanden. Die Haltung, die Meinung der Bundesregierung ist: Ja, das war Völkermord.
Schäfer: Ich habe es Ihnen doch gerade so vorgelesen; in der Tat.
Zusatzfrage: Die Bundesregierung sagt: Das war Völkermord. - Das wäre ja jetzt eine Meldung.
Schäfer: Dann melden Sie es.“
Als Dr. Martin Schäfer, Sprecher des Auswärtigen Amtes, den Völkermord an den Herero und Nama auf der Pressekonferenz der Bundesregierung am 10. Juli als solchen bezeichnete, kündigte er damit einen radikalen Kurswechsel in der Linie des Auswärtigen Amtes an.
Zur Mitschrift der Regierungspressekonferenz vom 10. Juli
In den vorvergangenen Tagen hatte die Diskussion über die (Nicht-)Anerkennung des Völkermords des Deutschen Kaiserreiches an den Herero und Nama in der ehemaligen Kolonie Deutsch Südwestafrika eine neue Dynamik angenommen. Während Bundespräsident Joachim Gauck noch am 6. Juli 2015 eine Delegation von Angehörigen der Opfer des Genozids nicht empfangen wollte, schrieb Bundestagspräsident Norbert Lammert nur zwei Tage später in einem Artikel in der Wochenzeitung "Die Zeit", dass nach "heutigen Maßstäben [fusion_builder_container hundred_percent="yes" overflow="visible"][fusion_builder_row][fusion_builder_column type="1_1" background_position="left top" background_color="" border_size="" border_color="" border_style="solid" spacing="yes" background_image="" background_repeat="no-repeat" padding="" margin_top="0px" margin_bottom="0px" class="" id="" animation_type="" animation_speed="0.3" animation_direction="left" hide_on_mobile="no" center_content="no" min_height="none"][...] die Niederschlagung des Herero-Aufstandes ein Völkermord" war. Eine Klausel, die wohl keine juristischen Folgen nach sich zieht und von Lammert als Privatperson verfasst wurde - der Tenor des Artikels lautete aber: es sollte von der Bundesregierung nicht mit zweierlei Maß gemessen werden; wenn der Völkermord an den Armeniern als solcher bezeichnet werde, solle dies für den Völkermord an den Herero und Nama ebenso gelten.
Nur wenig deutete aber darauf hin, dass diese Anerkennung bereits am darauffolgenden Freitag offiziell werden würde, obwohl Gespräche zwischen den Außenministerien in Berlin und Windhoek bereits seit längerem liefen.
Anlässlich dieser neuen Entwicklungen haben wir eine subjektive (und in jedem Fall unvollständige) Presseschau angefertigt. Ergänzungen und Empfehlungen sind in den Kommentaren herzlich willkommen!
Anlässlich des 100. Jahrestages des Endes der deutschen Kolonialherrschaft in Deutsch-Südwestafrika (Namibia) griffen zahlreiche Medien die Debatte um den Völkermord an den Herero und Nama auf. Der oben angegebene Artikel basiert auf einer dpa-Meldung, die weite Verbreitung fand.
Johannes Super berichtet über die Überreichung der Petition des Bündnisses „Völkermord verjährt nicht!“ an den Bundespräsidenten. Dieser ließ die Petition durch einen Mitarbeiter in Empfang nehmen, zu einer Einladung zu einem Gespräch kam es nicht.
Super zitiert Ida Hoffman, eine Vertreterin der Nama und Mitglied des namibischen Parlamentes: „‘Geht man so mit den Nachfahren von Opfern eines Genozids um?‘, fragte sie. Man habe erneut die ‚herablassende Haltung‘ der Bundesrepublik gespürt.“
Im Gespräch mit dem Deutschlandradio Kultur sagt der Herero-Vertreter Vekuii Rukoro er habe sich durch die Abfertigung Gaucks „unhöflich und respektlos“ behandelt gefühlt. Auf die Frage nach Entschädigungszahlungen sagte er „Ein Menschenleben kann man nicht mit Geld aufwiegen […] doch der Genozid muss klar benannt und eingestanden werden.“
In seinem Leitartikel zur deutschen Weigerung den Völkermord anzuerkennen schreibt Christian Bommarius, dass es „unmöglich“ sei, auf der einen Seite „die Türkei – sehr zu Recht – immer wieder zu ermahnen, ihren Völkermord an den Armeniern endlich einzugestehen, und andererseits zu versuchen, dem Eingeständnis des eigenen Völkermords unter Hinweis auf großzügige Entwicklungshilfe zu entkommen.“
Die Anerkennung sei aber nur ein erster Schritt zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte, die ob der Länge der „unendlich peinlichen Debatte“ über die Anerkennung „aus dem kollektiven Bewusstsein zu verschwinden“ drohe.
Sie verstelle damit den Blick dafür, „dass mehr als über die Verbrechen des Kolonialismus der Kolonialismus als Verbrechen zu verhandeln ist.“
In ihrem Artikel auf Zeit Online weist Anke Schwarzer auf die Bedeutung Hamburgs für die Kriegsführung des Kaiserreichs in Deutsch-Südwestafrika hin: „Allein in den ersten 18 Monaten des Krieges, der im Januar 1904 begann, wurden rund 665 Offiziere verschifft, 196 Beamte, 14.000 Soldaten und 12.000 Pferde. Die einfachen Soldaten in den untersten Decks, die Offiziere darüber.“
Sie zitiert den Leiter der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“ Jürgen Zimmerer zur fehlenden Erinnerung an diese Verbindung: „Nichts erinnert heute an die Truppenverschiffung, dabei könnte gerade am Beispiel Hamburgs gezeigt werden, dass Kolonialismus immer auch deutsche – oder in diesem Falle Hamburgische – Geschichte ist.“
In seinem Essay über die deutsche Erinnerungskultur bemerkt Jürgen Zimmerer, dass der kritische Umgang mit der eigenen Vergangenheit „zum Staatsverständnis Deutschlands nach 1945“ gehörte. Zimmerer erinnert an die Diskrepanz zwischen diesem Verständnis und der noch immer fehlenden Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte.
Er schreibt es sei „beschämend, was sich das politische Deutschland in Bezug auf die Anerkennung rassistischer Verbrechen der Vergangenheit leistet. Es droht die Erfolgsgeschichte der deutschen Vergangenheitspolitik insgesamt in Frage zu stellen, wirft es doch die Frage auf, wie tiefgehend diese Bewältigung war, wenn das historisch völlig unstrittige Abschlachten bzw. Verrecken-Lassen von bis zu 80.000 Männern, Frauen und Kindern einfach ignoriert werden kann.“
Der Historiker Gunther Neumann fragt in seinem Kommentar, warum in Europa Massenmorde mit zweierlei Maß messe.
„Hereros haben keine weltweite Diaspora, keine sprachgewaltige Lobby. Es gibt wenig Literatur, die an ihr Schicksal erinnert, wie es dem Schriftsteller Franz Werfel mit den Armeniern gelang. Bei der zurückhaltenden Anerkennung ist auch die Befürchtung einer Kaskade von Reparationsforderungen im Spiel, etwa von Native Americans oder einst unterdrückten Kolonialvölkern. Deutschland hat seit 1990 eine Milliarde Euro an Entwicklungsgeldern für Namibia bezahlt.“
Es gehe aber bei der Anerkennung überhaupt nicht um „finanzielle Wiedergutmachung – ein ohnehin unpassender Begriff“. Die Anerkennung des Völkermordes sei vielmehr wichtig, da die Benennung des „Ungeheuerlichen“ die Europäer „beziehungsfähiger“ mache und „auch zum Dialog mit Nachkommen der Toten und Traumatisierten“ befähige. „Der nigerianische Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka spricht von einem «Torbogen der Heilung». Er besteht aus Wahrheit, Verantwortung – und dann Versöhnung.“
Am Freitag wurde auf der Pressekonferenz der Bundesregierung der Völkermord erstmals von offizieller Seite als solcher bezeichnet. Die dpa Meldung zu diesem Ereignis wurde in über 60 Zeitungen und zahlreichen Radio- und Fernsehnachrichten verbreitet.
In dem vielschichtigen und tiefgehenden, einstündigen Beitrag setzt sich Uwe Westphal mit dem Völkermord, der Anerkennung und der postkolonialen Erinnerungskultur in Deutschland auseinander. Dazu interviewt er unter anderem Israel Kaunatjike, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Jürgen Zimmerer.
Westphal fragt warum die Bundesregierung sich mit einer Entschuldigung schwertut, welche Folgen sich aus der Anerkennung ergeben könnten, wie der „Rassenkrieg“ motiviert wurde und welche Kontinuitäten rassistischer Denkmuster und Handlungsweisen sich auch nach dem Ende der Kolonialzeit in Deutschland wiederfinden.
Die Meldung über die Anerkennung des Völkermordes greift Nicholas Michel auf und richtet den Blick auf die Delegation der Nachkommen der Hereros, die von Bundespräsident Gauck, mit dem Hinweis Deutschland spreche bereits mit dem namibischen Staat abgewiesen wurde.
Er zitiert Vekuii Rukoro, der sich über das „koloniale Argument“ empörte, dass ein souveräner Staat nur mit einem souveränen Staat [und nicht etwa mit Opfergruppen, K.T.] verhandele.
Die deutschsprachige namibische „Allgemeine Zeitung“ kommentiert die Anerkennung, dass darauf „niemand vorbereitet“ gewesen sei.
Der Autor Stefan Fischer schreibt: „Es wäre schön, wenn die Bundesregierung eine Einschätzung von solcher Tragweite nicht von der Auffassung von Einzelpersonen abhängig macht und sich zudem auf fundierte und ausgewogene Geschichtsforschungen stützt.“
Dass die „fundierte[n] und ausgewogene[n] Geschichtsforschungen“ mit hoher Evidenz nachgewiesen haben, dass es sich um einen Völkermord handelte, ignoriert Fischer.
In einem Debattenbeitrag kommentieren Reinhart Kößler und Henning Melber die Entwicklung bis zur Pressekonferenz vom 10. Juli. Sie bewerten die Anerkennung als Durchbruch und als „Erfolg zivilgesellschaftlicher Bemühungen sowohl auf namibischer wie auf deutscher Seite“.
Die Einbeziehung von Angehörigen der Opfergruppen in den Dialog über die postkoloniale Erinnerung bezeichnen sie als offene Frage und verstehen dies als Herausforderung für zivilgesellschaftliche Akteure in Namibia und Deutschland.
Die namibische Wochenzeitung Windhoek Observer zitiert den deutschen Botschafter in Namibia, Ullrich Kinne, dass die Bundesregierung den Völkermord nur in einem historischen und nicht in einem juristischen Sinne anerkenne.
Der Windhoek Observer kommentiert, dass damit die Bundesregierung den Völkermord nicht nach den Maßstäben der internationalen Genozid-Konvention von 1948 als solchen bewerten würde.
Der Herero-Vertreter Vekuii Rukoro wird zitiert, dass die Forderung der Herero nach offizieller Anerkennung weiter bestehe. Man habe der Bundesregierung ein Ultimatum bis zum 2. Oktober 2015 gestellt. Sollte sie bis dahin den Genozid noch immer nicht anerkannt haben, werde man die Bundesregierung vor dem Internationalen Strafgerichthof verklagen.
Dieser Text von Kim Sebastian Todzi ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.
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Bildquelle:
Zeitungen-02 von Roland Unger ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.[/fusion_builder_column][/fusion_builder_row][/fusion_builder_container]
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