Die Romantisierung des Hafenlebens spielt eine zentrale Rolle in der Ausstellung Streamlines, welche in den Deichtorhallen zur Zeit besucht werden kann. Eine Untersuchung der Ursachen und komplexen Zusammenhängen hinter der Migration findet nicht statt.
von Tania Mancheno
Für die Ausstellung Streamlines in den Deichtorhallen lud die Kuratorin Koyo Kouoh internationale Künstlerinnen und Künstler nach Hamburg ein, Ozeane als Orte des Welthandels und der Migration künstlerisch zu untersuchen. Als Ergebnis dieser internationalen Zusammenstellung fokussiert sich die Ausstellung auf die Ressource des Wassers. Damit setzen die Deichtorhallen eine Museumspraxis fort, die bereits im Jahr 2014 im Stedelijk Museum in Amsterdam mit der Ausstellung Landings: Confrontation and Confession erprobt worden ist. In der Ausstellung wurde die Erde in ihren Dimensionen der Kultivierung, des Extraktivismus und der Dekolonialisierung als soziales Element erforscht.
Die Bewegung und Migration von Gütern und Menschen, die durch das Land und das Wasser ermöglicht werden, erlaubt es, die Erde in Landings und die Ozeane in Streamlines gleichzeitig als eine natürliche Ressource und eine durch Menschen geschaffene „Natur“ zu verstehen. Diese Doppeldeutigkeit des Gutes erlaubt es, mit den Elementen Erde und Wasser als Metaphern zu arbeiten, die für die Erklärung immer neuer Konstellationen herangezogen werden können.
Streamlines stellt die Ozeane in ihrer natürlichen und künstlichen Form dar.
Ein aus Kaffee, Pfeffer und Zimt ausgezeichneter Weg verweist am Anfang der Ausstellung auf einen möglichen doppelten Sinn des Warenkreislaufes. Der hier symbolisierte Güterverkehr, der zentral für die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist, ist außerdem untrennbar mit der ungleichen Beziehung zwischen Europa und den Ländern des Globalen Südens verbunden. Eine kritische Hinterfragung des Bewegungskreislaufs von Menschen und Gütern bedarf der genaueren Analyse: Migration und Welthandel können sowohl zur Konstituierung einer globalen Moderne im 19. und 20. Jahrhundert herangezogen werden, als auch als Konsequenz einer neoliberalen, digitalen Globalisierung zu Beginn des 21. Jahrhundert dargestellt werden. Nach meinem Besuch in der Ausstellung scheint mir dort die zweite Variante der Fall zu sein.
Die Ausstellung läuft Gefahr einen Parcours zu gestalteten, der die Gewaltverhältnisse auf dem Wasser und in den Häfen romantisiert.
Die Textur der zusammengestellten kolonialen Luxuswaren im Werk der Künstlerin Otobong Nkanga signalisiert letztlich den oberflächlichen Charakter, mit welchem die Ausstellung ihre Unterthemen lediglich anspricht, anstatt in sie einzutauchen und komplexere Zusammenhänge offen zu legen.
Ozeane werden als ewige Schauplätze von gewollten und ungewollten Begegnungen und Trennungen dargestellt, eine differenzierte Untersuchung der Verhältnisse wird jedoch nicht erreicht. Symbolisiert in der Verpackung von Trinkkakao (Thomas Rentmeister) und in der geistlichen Präsenz von Staatenlosen (Kader Attia), setzt die Behandlung der Migration in Streamlines der Omnipräsenz von Migrationsbildern in den deutschen Medien nichts entgegen. Streamlines schafft keine Beziehungen mit zusammenhängenden Subjektivierungsformen und neuen Formen des Territoriums, die in den Ozeanen u.a. durch den Warenverkehr markiert werden. Streamlines ist die Rationalisierung von Produktion und Mobilität. Mit anderen Worten, es wird sich hier nicht, wie angekündigt, auf alternative Geschichtsschreibungen bezogen, sondern vielmehr engt sich das Narrativ auf die Hypermobilität sozialer Welten und aktueller Kunst ein.
Der frappierende Charakter des Werkes People of Utopia über die Kommerzialisierung von Schwarzen Menschen des Ghanaischen Künstlers Godfried Donkor verliert sich zwischen den phantasmagorischen Videoerzählungen des Ozeans von Theo Eshetu und dem poetischen Bild des Meeres von Alfredo Jaar, One Million Points of Light (2005).
Es entsteht kein Erfahrungsraum der Migration zwischen den Werken, weil sie nicht miteinander kommunizieren. Dabei wäre dies, gerade im Kontext der Förderung deutsch-afrikanischer Projekte, eine Chance für die Deichtorhallen und die Stadt Hamburg gewesen, die Aufarbeitung des kolonialen Erbes mit den Mitteln der bildenden Kunst zu kommunizieren.
Nicht zuletzt verfehlt die Ausstellung, einen Bezug zur Geschichte des Hamburger Hafens herzustellen. Dies hinterlässt nicht nur den Eindruck einer unterlassenen Kontextualisierung des Themas mit dem Ausstellungsort, sondern auch einer unzureichenden Kommunikation zwischen den Kunstwerken, den Künstlerinnen und Künstlern und dem Ausstellungsort.
Damit verpassen die Deichtorhallen die Chance, das Thema um verschiedene Perspektiven und eine Historisierung seiner Widersprüche zu ergänzen. Streamlines verbleibt daher überwiegend eine ästhetische Erfahrung, in der keine Untersuchung der Ursachen und kolonialen Zusammenhängen hinter der Migration stattfindet. Auch das Thema der Arbeit bleibt der Ausstellung fremd. Der Hafen wird als Ort, jedoch nicht als Produktionszentrum thematisiert.
Eine Romantisierung des Hafenlebens verblendet die politische Dimension des Hafens. Der Zugang zur Welt, der den Hafen ermöglicht ist nicht nur das Resultat eines historisch gewachsenen Treffpunktes. Anstatt das Hafenleben als Spektakel zu präsentieren, hätte Streamlines die koloniale Bewegungsbahn der Migration und des Welthandels unter die Luppe nehmen können.
Dieser Text von Tania Mancheno ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.