Seit im Juli 2015 mit dem Bundestagspräsidenten Norbert Lammert der bislang ranghöchste Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland sich klar für die Benennung des Krieges des Deutschen Reiches gegen die Herero und Nama (1904-1908, Südwestafrika, heute Namibia) ausgesprochen hat, und auch das Auswärtige Amt diesen Umstand nun anerkennt, ist Bewegung in die Frage der aktiven und öffentlichen Versöhnung zwischen Namibia und Deutschland gekommen. Im Oktober 2015 verfasste ich dazu ein Memorandum, das ich nachfolgend als historisches Dokument veröffentliche.
In der Zwischenzeit haben sowohl Namibia als auch Deutschland Sondergesandte in dieser Frage ernannt, Dr. Zed Ngavirue und Ruprecht Polenz, und zahlreiche Gespräche haben stattgefunden, allerdings immer noch auf den Arkanbereich der Diplomatie beschränkt.
von Jürgen Zimmerer, 1.10.2015
Vorbemerkung:
Der Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Herr Markus Meckel, bat mich nach unserer Unterredung am 4.9.2015 in Berlin, meine darin geäußerten Überlegungen zum Umgang mit dem Genozid in Deutsch-Südwestafrika (1904-1908) als Grundlage weiterer Erörterungen in seinem Haus sowie in entsprechenden Gremien und Organen der Bundesrepublik Deutschland zu Papier zu bringen. Ich komme diesem Wunsch gerne nach, und tue dies auf der Grundlage meiner Expertise in den Themenbereichen Kolonialgeschichte, Erinnerungspolitik sowie Genozid und Versöhnung als Historiker Namibias und insbesondere des deutschen Kolonialismus und Genozids, als langjähriger Vorsitzender des Weltverbandes der Genozidforschenden (www.inogs.com), als Gründungsdirektor des Sheffield Centre for Genocide and Mass Violence, und als Direktor der Forschungsstelle „Hamburgs (post-) koloniales Erbe“. Die von Herrn Meckel bei seiner Reise nach Namibia im Juli 2015 gemachten Erfahrungen und Überlegungen flossen in die nachfolgenden Erörterungen ein. Dennoch möchte ich betonen, dass es sich bei dem folgenden um meine Meinung handelt und zwar als Privatperson, und diese auch eine breite zivilgesellschaftlicher Erörterung in Deutschland und Namibia nicht ersetzen kann, und insbesondere nicht den Dialog mit den entsprechenden Organisationen der Opfer und ihrer Nachfahren.
Historischer Hintergrund:
Die historischen Fakten sind relativ klar und in der internationalen historischen Forschung unumstritten: Nachdem die deutsche Kolonialherrschaft in nur 20 Jahren seit 1884 die Autonomie und den Besitz der dort lebenden Afrikanerinnen und Afrikaner weitgehend eingeschränkt hat, oder einzuschränken drohte, kam es im Januar 1904 zu einem großflächigen Widerstand der Herero. Dieser Widerstand wurde auf höchsten Befehl aus Berlin auf brutale Weise gebrochen, wobei es zu genozidalen Aktionen gegen die Herero kam und anschließend auch gegen die Nama, die sich mittlerweile dem Widerstand angeschlossen hatten. Die genozidalen Aktionen umfassten das Treiben der Herero in die Omaheke-Wüste („Vernichtungsbefehl“), die Strategie der Verbrannten Erde gegenüber den Nama und teilweise die Vernichtung durch Vernachlässigung in den „Konzentrationslagern“ (zeitgenössischer Ausdruck). Nach Beendigung des Kriegszustandes setzte sich die extreme Ausbeutungspolitik fort, zu der die Aufhebung der Freizügigkeit für Afrikanerinnen und Afrikaner, ihr Zwang zur Arbeit bei „Weißen“ sowie das sichtbare Tragen von Passmarken gehörte. In einer Reihe von Verordnungen wurden sexuelle Beziehungen zwischen Europäern und Afrikanerinnen verboten und stigmatisiert. Ein „Rassenstaat“ wurde errichtet, der in vielerlei Hinsicht auf eine Ideologie und eine Praxis vorauswies, die nach 1933 in Deutschland selbst zum Tragen kommen sollte. Das Land der Herero und Nama wurde konfisziert (als Strafe für ihren Widerstand) und an Deutsche abgegeben, worin zum Teil die bis heute ungerechte Landverteilung wurzelt.
Anerkennung und Versöhnung:
Unter der deutschen und seit 1915 der südafrikanischen Herrschaft konnte das Gedenken an den Völkermord kaum öffentlich artikuliert werden und auch in den ersten Jahren der namibischen Unabhängigkeit wurde das Thema von der namibischen Regierung nur stiefmütterlich behandelt, und weitgehend verdrängt. Zum einen wollte man die deutschsprachige Minderheit in Namibia nicht verärgern, die mehrheitlich ein revisionistisches Geschichtsbild besaßen, zum anderen befanden sich vor allem die Herero in der Opposition zur Ovambo-geführten Regierung. Dennoch kam es bereits 2001 zu einer Klage von Herero gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Zahlung von Reparationen in den USA, die abgewiesen wurde, weil sich das Gericht für nicht zuständig erklärte. Mit der Entschuldigung der damaligen Ministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, im Augst 2004 in Namibia erreichte die Debatte um eine Entschuldigung und Aussöhnung einen ersten Höhepunkt. Die damalige Initiative, die durch eine Aufstockung der Entwicklungshilfe als Zeichen der Wiedergutmachung flankiert wurde, verpuffte jedoch weitgehend wirkungslos, so dass sich zehn Jahre später die Fronten zwischen Opfergruppen und deutsche Regierung immer noch weitgehend unversöhnlich gegenüberstehen, wobei insbesondere die Forderung nach Reparationen umstritten ist.
Als Hindernis für eine Aussöhnung erwies sich die weitgehende Nichtberücksichtigung der Zivilgesellschaft in beiden Staaten, und stattdessen das Verhandeln der betreffenden Fragen im Arkanum der Diplomatie und auf Regierungsebene. So wurde die Chance zu einer breiten Aufklärung der deutschen Bevölkerung ebenso vertan, wie die Entwicklung alternativer Konzepte und Ideen zu einer Versöhnungsinitiative unterhalb der Staatsebene. Auch wurde die Frage der Reparationen nicht geklärt; letztendlich wurde diese umgangen durch den Hinweis auf eine angehobene „Entwicklungshilfe“. Der Begriff der Entwicklungshilfe wurde aber dem Empfinden der Opfervertreter nicht gerecht, die Wiedergutmachung erwarteten, also einen Anspruch geltend machten. Durch das Fehlen einer offiziellen Anerkennung, dem Ausschluss weiter Teile der deutschen wie der namibischen Zivilgesellschaft und einer Rhetorik der Hilfe, verpuffte die symbolische Wirkung der Rede Wieczorek-Zeuls und ihrer damaligen Pläne. Wie von Aussöhnungsprozessen im Kontext des Zweiten Weltkrieges und der Verbrechen des Dritten Reiches bekannt ist, ist jedoch die sichtbare Einbeziehung der Zivilgesellschaft sowohl in den Prozess der Aufarbeitung wie auch der Erinnerung von enormer Bedeutung für die Nachhaltigkeit von Aussöhnungsprozessen.
Maßnahmen zur nachhaltigen Versöhnung und Erinnerung:
Die nachfolgend skizzierten Maßnahmen gehen von der Annahme aus, dass
- Kolonialismus und das koloniale Erbe bis heute nachwirken, und dieses Nachwirken in den Versöhnungsprozess mit eingebracht werden muss,
- Kolonialismus sich nicht nur auf staatliche Herrschaft beschränkte, sondern auf breiten sozialen, ökonomischen und mentalen Strukturen basierte und diese auch langfristig beeinflusste, die ebenfalls aufgearbeitet werden müssen,
- erst Anerkennung von historischer Verantwortung Versöhnung ermöglicht.
Eine dauerhafte Versöhnung muss deshalb auf drei Säulen ruhen, um nachhaltig zu sein:
1) politische Entscheidung und Verständigung
- Einigung über Anerkennung und Versöhnung muss im Dialog mit namibischen Partnern gesucht werden
- dabei müssen auch die Nachkommen der unmittelbaren Opfer intensiv einbezogen werden (auch um den Diskurs dem innenpolitischen Streit zu entziehen)
- Gespräche müssen unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft in beiden Ländern geführt werden, einschließlich der deutschsprachigen Namibier, um eine Nachhaltigkeit der Versöhnung zu gewährleisten
- Aufarbeitung und Versöhnung darf sich nicht auf Diskussionen und Prozesse in Namibia beschränken, sondern hat auch eine deutsche Komponente. Hier sind Zivilgesellschaft und Wissenschaft besonders gefordert
- Ungleiche Einkommens- und Besitzverhältnisse im globalen Maßstab (Vergleich Deutschland-Namibia) als auch innerhalb Namibias (Wohlstandsverteilung zwischen den einzelnen Sprachgruppen) sind auch Resultat des Krieges von 1904-1908 und der deutschen (wie europäischen) Kolonialpolitik insgesamt. Ihre Veränderung kann (Teil der) finanziellen Wiedergutmachung
2) wissenschaftliche Aufarbeitung und (außer-) schulische Vermittlung
- Eckdaten von Krieg und Genozid sind in der Forschung nicht umstritten, im Detail gibt es aber nach wie vor große Erkenntnislücken
- Schicksal der Damara, San und Ovambo
- Erinnerungen und deren Tradierung bei den Opfern
- Rekonstruktion des Leidens in der Omaheke
- Widerständigkeit gegenüber dem „totalen Überwachungsstaat“
- Transgression des „Rassenstaates“
- Wissenschaftliche Aufarbeitung muss parteipolitischen Streit entzogen werden –> unabhängige bilaterale Historikerinnenkommission
- Schulbuchkommission sollte Materialen auf der Grundlage der historischen Forschung erarbeiten und didaktisch aufarbeiten
- Dokumentationszentren für den Genozid und den deutschen „Rassenstaat“ sind in Namibia (evtl. Okahandja, Windhoek, Gibeon) und in Deutschland einzurichten.
- Errichtung eines Zentrums zur namibischen Geschichte und Politik in Dtl.
- Folgen des Kolonialismus finden sich auch in den ungleichen Bildungschance von Deutschen und Namibiern è Stipendienprogramme für Auszubildenden und Studierende sollten aufgelegt werden
- Jugendaustauschprogramme sollen gegenseitiges Verständnis und Verständigung befördern
3) Schaffung von Orten des Gedenkens und der Erinnerung (in beiden Ländern)
Eine Verständigung darüber kann nur im Dialog mit allen Stakeholders getroffen werden, und endgültig auch erst nach intensivierter Forschung. Es gilt dabei zu berücksichtigen, dass der Ahnenkult in den Opfergesellschaften nicht unbedingt an feste Orte (Gräber, Kirchen) gebunden war, und dass viele Opfer des Genozids nicht begraben werden konnten, bzw. die Grabstellen unbekannt sind (Tod auf der Flucht, Tod in der Omaheke)
–> wissenschaftliche Aufarbeitung leistet hier Grundlagenarbeit
–> siehe auch Dokumentationszentrum und Zentrum für nam. Geschichte und Politik
Mögliche Maßnahmen umfassen:
- Pflege der (bekannten) Gräber von Opfern des Genozids durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
- Errichtung von Gedenksteinen und Denkmälern (wo nicht schon geschehen) an den Konzentrationslagern und bei bekannten Massengräbern
- Repatriierung aller „Human Remains“ aus dem Krieg und würdige Beisetzung
- Errichtung eines Denkmals an zentraler Stelle in Berlin
Deutschland-Namibia: Wahrheit – Erinnerung – Versöhnung. Überlegungen zum Gedenken an den Völkermord von 1904-1908 von Jürgen Zimmerer ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.
29. April 2016 um 7:33 Uhr
eine prägnante Darstellung der Problematik, eine gute Grundlage auch für die Bildungsarbeit in unserem Land,
mit überlegenswerten Vorschlägen für das weitere Vorgehen.
Ich kann mich gut mit dem Artikel identifizieren.
Es wäre wünschenswert, dass die jahrelangen Bemühungen der Zivilgesellschaft zur Aufarbeitung der deutschen
Kolonialgeschichte, insbesondere des Völkermordes an Herero und Nama zu einem baldigen akzeptablen Ergebnis
in den Gesprächen zwischen der deutschen und namibischen Regierung unter Einbeziehung der Opferverbände
und der zivilgesellschaftlichen Initiativen führen würden.
28. April 2016 um 17:47 Uhr
vollkommen richtig.