Zwischen 1961 und 1974 führte Portugal Europas jüngsten und längsten Dekolonisationskrieg, der sowohl eine wichtige Zäsur in der Geschichte des europäischen Kolonialismus darstellt als auch Kernaspekte des Kalten Krieges wiederspiegelt. Über einen Zeitraum von 13 Jahren rangen portugiesische Truppen und afrikanische Befreiungsbewegungen in Angola, Mosambik und Guinea-Bissau um den Erhalt oder das Ende des ältesten europäischen Kolonialreiches in Afrika. In Portugal und in den lusophonen Ländern Afrikas wurde eine ganze Generation in den gewaltsamen Prozess der Dekolonisation verwickelt. Im Zuge einer breiten Militarisierung der Gesellschaft mobilisierte das portugiesische Estado Novo-Regime sowohl die Jugend in der kolonialen Metropole als auch junge Menschen aus den afrikanischen Kolonien für den Militärdienst in Übersee.
Der Kolonialideologie des luso-tropicalismo [1] zufolge hatte die portugiesische Kolonisation in Afrika eine harmonische multikulturelle und multiethnische Gesellschaft geschaffen. Daher sollten alle Einwohner des „Mutterlandes“ und der Kolonien – egal ob „weiß“ oder „schwarz“ – ihren Anteil am Kampf für den Erhalt des Kolonialreiches leisten. Ab Mitte der 1960er Jahre wurden zunehmend lokal rekrutierte afrikanische Soldaten [2] auf allen drei Kriegsschauplätzen eingesetzt. Dadurch sollten nicht nur die Kosten für die Ausbildung und den Transport europäischer Truppen eingespart werden, sondern auch die innenpolitisch belastenden Verluste unter den europäischen Wehrpflichtigen reduziert und eine Legitimation der portugiesischen Kolonialherrschaft konstruiert werden. Gegen Ende des Konfliktes stellten daher afrikanische Soldaten die Hälfte der portugiesischen Truppen in den Kolonien.[3]
Fragestellung
Bisher wurde den afro-portugiesischen Soldaten von der Wissenschaft aber nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Im Sinne der postkolonialen Theorie rückt mein Promotionsprojekt die indigenen Akteure in den Fokus, um die afrikanischen Soldaten, die von 1961 bis 1974 in der portugiesischen Kolonialarmee kämpften, sowohl als Akteure als auch als Objekte des portugiesischen Kolonialsystems zu identifizieren. Grundlegend gilt das Erkenntnisinteresse dabei den Fragen nach der persönlichen Motivation und der Funktion der afro-portugiesischen Soldaten innerhalb des kolonialen Gewaltapparates.
Es soll untersucht werden, wer im Dienst der Kolonialherren stand und unter welchen Umständen diese Soldaten rekrutiert wurden und ihren Dienst leisteten. Ein Hauptaugenmerk meiner Untersuchung liegt dabei auf dem Spannungsfeld zwischen der vermeintlichen Gleichberechtigung der gesamten Bevölkerung der Kolonien, wie sie die Kolonialpropaganda versprach, dem allgegenwärtigen Kolonialrassismus und der sozialen Realität innerhalb der Streitkräfte.
Quellenlage und Relevanz
Der britische Historiker David Killingray beschrieb in einer Untersuchung zu britisch-afrikanischen Kolonialsoldaten sehr eindrücklich das Quellenproblem, mit dem Historiker_innen in vielen Aspekten der afrikanischen Geschichte konfrontiert sind: Von afrikanischen Soldaten selbst gibt es zumeist wenige bis keine schriftlichen Quellen, die Aufschluss über Gedanken, Motivationen und Erfahrungen ermöglichen. Daher ist es nötig, einen indirekten Zugang über das Quellenmaterial der europäischen Offiziere und Kolonialverwalter zu erhalten.[4]
Neben dem Material aus den portugiesischen Archiven sollen aber auch zeitgenössischen Medienberichten, welche Interviews mit afrikanisch-portugiesischen Soldaten enthalten [5] und Zeitzeugenbefragungen als Quellengrundlage meiner Untersuchung dienen. Aufgrund der zeitlichen Distanz und der damit einhergehenden Veränderung der Wahrnehmung und Bewertung vergangener Ereignisse erfordern diese Zeitzeugen-Interviews natürlich eine äußerst sorgfältige und kritische Interpretation gemäß der Theorie der Oral History.[6]
Mein Projekt leistet einen Beitrag zur Untersuchung der Spätphase des europäischen Kolonialismus in Afrika sowie zum Ende des portugiesischen Kolonialismus im Speziellen. Die Arbeit ist darüber hinaus in der Zeitgeschichte Portugals und der der lusophonen Länder Afrikas zu verorten. Die militärhistorische Betrachtung der Dekolonisierungskriege des portugiesischen Kolonialreiches soll durch die Einordnung der afrikanisch-portugiesischen Soldaten in den kolonialen Gewaltapparat um einen wichtigen Aspekt bereichert werden. Damit möchte ich auch einen Beitrag zur Untersuchung kolonialer Gewaltdynamiken und -akteure leisten.
Nils Schliehe (geboren 1988), studierte Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Hamburg. 2012 schloss er das Bachelorstudium mit einer Arbeit zu Erinnerungen südafrikanischer Soldaten an den „Border War“ in Namibia und Angola erfolgreich ab. Im Sommer 2015 folgte der Masterabschluss mit einer Arbeit zu den deutsch-portugiesischen Beziehungen während der portugiesischen Kolonialkriege in Afrika 1961-1974. Aktuell ist Nils Schliehe Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für die Geschichte Afrikas des Arbeitsbereiches Globalgeschichte am Historischen Seminar der Universität Hamburg. Im Mai 2016 wurde seine Masterarbeit unter dem Titel „Deutschlands Hilfe für Portugals Kolonialkrieg in Afrika. Die Bundesrepublik Deutschland und der angolanische Unabhängigkeitskrieg 1961-1974“ im Allitera Verlag publiziert.
Fußnoten:
[1] Über die Entwicklung des lusotropicalismo zur Kolonialideologie des Estado Novo siehe Castelo, Cláudia: „O Modo Portugues de Estar do Mundo“. O luso-tropicalismo e ideologia colonial portuguesa (1933-1961), Porto 1999.
[2] Mit diesem Begriff sind in den portugiesischen Kolonien ansässige und dort rekrutierte afrikanische An-gehörige des portugiesischen Militärs gemeint. Da die überwältigende Mehrheit der indigenen Rekruten Männer waren und bisher nur sehr vereinzelte Hinweise auf den Einsatz indigener Frauen in irregulären Verbänden der portugiesischen Streitkräfte gefunden wurden, wird der Einfachheit halber der Begriff „Soldat“ in der maskulinen Form benutzt.
[3] Vgl.: Borges Coelho, João Paulo: African Troops in the Portuguese Colonial Army, 1961-1974. Angola, Guinea-Bissau and Mozambique, S. 136-137, in: Portuguese Studies Review, Vol. 10, Nr. 1 (2002), S. 129-150.
[4] Vgl.: Killingray, David, Gender issues and African colonial armies, S. 233, in: David Killingray, David E. Omissi (Hrsg.): Guardians of Empire: The Armed Forces of the Colonial Powers c. 1700-1964, Manchester/New York 1999, S. 221–248.
[5] Siehe z. B. mehrere Berichte des US-amerikanischen Zeitungsreporters Thomas Johnson in der New York Times vom 28. und 29. August 1974. Johnson befragte im Sommer 1974 afrikanisch-portugiesische Soldaten in Guinea-Bissau, siehe auch Wheeler, 1976, S. 241.
[6] Zur Methode der Oral History siehe ausführlich Ritchie, Donald A.: The Oxford Handbook of Oral History, New York 2012.