Von Caroline Herfert

Im Thalia Theater hieß es gestern Vormittag „Leinen los!“ für „Theater der Welt“. Das internationale Festival wolle „in diesen Tagen freundliche und optimistische Zeichen in die Welt schicken“, betonte Festivalleiter und Intendant des Thalia Theaters, Joachim Lux, in seiner Begrüßung. „Theater der Welt“, das für die nächsten drei Wochen ein Hafen für die Künstler*innen der Welt sein wird, will mit seinem Programm Zeichen gegen Angst und Zweifel setzen, es will ein Festival sein, „das uns Mut macht“, das „andere Bilder produziert“, so Lux. Eine Ahnung von diese geballten ‚anderen Bildern‘, die Vielfalt an Stimmen, Theaterformen und Ästhetiken, auf die insgesamt 330 Veranstaltungen, die das Festival in die Stadt holt, vermittelt der Trailer zum Programm.

Foto: Vor der Eröffnung, © Caroline Herfert

Besonders ist nicht nur die außerordentliche Fülle an Veranstaltungen, die von Schauspiel, Tanz-, Musiktheater über Performance bis hin zu site specific-Veranstaltungen reicht. Dazu kommt ein umfangreiches Diskurs- und Konzertangebot. Das dichte Programm, das zentral um den Hafen als Denkfigur, internationalen Umschlagsplatz und Spielort kreist, hat das vierköpfige Kurator*innen-Team in zweijähriger Arbeit auf die Beine gestellt: „Das Gesamtprogramm vereint das Lokale und das Globale und präsentiert zugleich ein vielfältiges Spektrum weltweiter Theaterentwicklungen“, und es lädt Zuschauer*innen wie Künstler*innen dazu ein, „ein Gegenmodell zum gegenwärtigen Zeitgeist von Nationalisierung und Abschottung zu leben.“[1] Zum Startschuss des Festivals lud Amelie Deuflhard, Intendantin von Kampnagel, dazu ein, mit „Theater der Welt“ auf die Reise zu gehen, das Programm zu entdecken – sei es nach Themen, nach geographischen Schwerpunkten, oder sich treiben zu lassen und dieser Vielstimmigkeit zu lauschen. Das Thema der Keynote aufgreifend, bezeichnete sie das Mammutprogramm des Festivals als „künstlerische Blitzlichter auf die Verfasstheit unseres Planeten.“

Die Hauptrolle dieser Eröffnung spielte zweifelsohne Prof. Achille Mbembe, dessen Präsenz auf der Bühne des Thalia Theaters den ganzen Raum füllte.  Seine Rede adressierte das Thema „Democracy, Mobility and Circulation in an Planetary Age: An Ethics of Consequences“. Über den Politikwissenschaftler und postkolonialen Theoretiker, der an der Universität Witwatersrand in Johannesburg lehrt, haben wir hier bereits vorab berichtet. Der Geschwister Scholl-Preisträger ist anlässlich von „Theater der Welt“ nach Hamburg gekommen, um ein „set of urgent fragmentary reflections“ zu teilen über unsere gegenwärtige Ära, für die noch keine richtige Bezeichnung gefunden sei: Er beschreibt sie daher als „time of planetary entanglement“.

Foto: Die Eröffnung von „Theater der Welt“ mit Achille Mbembe, © Fabian Hammerl

Mit dem Schlagwort „planetarisch“ ruft er in Erinnerung, dass wir Menschen nicht die einzigen Bewohner*innen dieses Planeten sind, dass die Geschichte der Menschheit auf der Erde eine kurze ist. Wir sind gefangen  in einer historischen Spirale der Gewalt, die sich nicht nur im Umgang mit Geflüchteten in Europa zeigt. Es gibt keine Garantie, dass wir immer hier sein werden – er spricht es nicht aus, aber seine Worte implizieren: Wenn wir so weitermachen, wenn wir nicht über die Zukunft der Demokratie, der Freiheit und der Vernunft nachdenken, wenn wir nicht aus der Spirale der Eskalation und der Politik der Gewalt herausfinden, dann wird die menschliche Präsenz auf der Erde definitiv noch kürzer sein. „It will continue without us, with the traces we have left behind“, mahnt er. Gleichzeitig beobachtet er eine ‚Rückkehr zum Animismus‘: „Not long ago, it was understood that the human person (whom, I have to say, the West mistook for the white man) was not a thing or an object.“ Alte, präkoloniale afrikanische Vorstellungswelten hingegen, gingen davon aus, dass ein menschliches Wesen mehr ist als der menschliche Körper: „To be a full human being, […] you had to partake […] in the entire procreation.“ Diese ‚Rückkehr zum Animismus‘ vollziehe sich heute in Hinblick auf die technologischen Entwicklungen: In Zeiten von Facebook, Instagram und Twitter sehen wir „a different kind of human entangled with objects […], constituted through and within digital technologies and new media forms“. Der Mensch werde so immer mehr zum Objekt, oder übernehme zumindest Attribute eines Objekts, der das Subjektsein aufgibt, dem das Subjektsein auch abgesprochen wird: „We are entering a stage we can call a democracy without subjects“, analysiert er die gegenwärtige Situation. Er sieht die Demokratie in Gefahr im „empire of the digital and the Eros of consumption“.

Eine Gefahr für die Demokratie sieht er aber auch in einer Logik der Eskalation unserer globalisierten Welt in Zeiten eines ’negativen Messianismus‘, in Zeiten des Postfaktischen. Im Zuge des Kollapses der basalen Fundamente von Wissen und Erkenntnis, sind wir gegenwärtig Zeug*innen, wie Fakten in Fiktion verwandelt werden und wie die Fiktionen zum Realen mutieren. Angesichts der Verschmelzung von Wissen, Hyperkapitalismus und digitalen (sozialer) Medien warnt er eindringlich: „Democracy has no future in a factless world.“

Mehr denn je bedarf es einer Ethik der Konsequenzen. Für die ausführliche Darlegung seiner Ethik der Konsequenzen im Detail war im Rahmen dieser Rede keine Zeit. Nichtsdestotrotz bot Mbembe mit seinen fragmentarischen Ausführungen zur Verfasstheit unseres Planeten eine Reihe von produktiven Denkanstößen.

 

Für alle, die nicht bei der Eröffnung dabei sein konnten, gibt es die Möglichkeit, den Mitschnitt der Eröffnung nachzuschauen und zu -hören.

 

[1] Amelie Deuflhard, Sandra Küpper, Joachim Lux, András Siebold – Künstlerisches Programm Theater der Welt 2017.