Von Caroline Herfert

Wie umgehen mit Rassismus im Theater? Rassistische Stereotype von people of colour darstellen oder nicht darstellen, das ist hier die Frage: Dürfen und sollen Klischees auf der Bühne dargestellt werden, um sie zu dekonstruieren oder reproduzieren sie damit automatisch kolonial-rassistische Denkmuster? Die Möglichkeit zur Reflexion dieser brisanten Frage bietet derzeit „Theater der Welt“. Im Rahmen des Festivals waren zeitgleich zwei Sprechtheaterproduktionen zu sehen, die sich in einem komischen Genre mit Rassismus, Stereotypen und der Weissen Norm auseinandersetzen: „Underground Railroad Game“ des New Yorker Theaterzentrums Ars Nova, und „In 80 Tagen um die Welt“ des Düsseldorfer Schauspielhauses.

Es überrascht nicht, aber der Praxistest bestätigt: Auf dem schmalen Grat der Komik tun sich die Abgründe von Rassismus und Sexismus auf. Das Spiel mit Stereotypen, die Mimesis von Klischees kann funktionieren, den Blick auf die Abgründe richten und Vulnerabilitäten und Fallstricke unserer Gesellschaft sensibel aufzeigen. Es kann aber auch gewaltig daneben gehen. Während „Underground Railroad Game“ diesen Balanceakt meisterhaft schafft, Stereotype deutlich markiert und dekonstruiert, stürzt „In 80 Tagen um die Welt“ im freien Fall in den unterirdisch tiefen Abgrund rassistischer Stereotype. Beginnen wir mit dem Unangenehmen.

 

„In 80 Tagen um die Welt“

Die Klischees fliegen tief, es kalauert sexistisch, dass sich die Balken biegen. Alles nur Spass, subversiv? Man möchte in Deckung gehen, man möchte im Erdboden versinken angesichts des Revue-Spektakels mit dem das Düsseldorfer Schauspielhaus im Thalia-Zelt am Baakenhöft gastiert: Peter Jordan und Leonhardt Koppelmann haben versucht, den bekannten Jules Verne-Roman, der im 19. Jahrhundert auch als Dramatisierung in ganz Europa äußerst populär war, zu aktualisieren. Dafür greifen sie tief in die Kiste der Klischees, um die Weltumrundung von Phileas Fogg, seinem Diener Passepartout und der Künstlichen Intelligenz Molly gewollt schwungvoll in Szene zu setzen. Zu gewollt. Das Ensemble und die Zirkusband bemühen sich jedenfalls redlich; die schönsten Momente dieser Revue schaffen die Musiknummern, denen es gelingt, in der Manege des Thalia-Zelts poetischen Theaterzauber zu entfachen.

Die Reise führt von Frankreich über Deutschland in ‚den Balkan‘, nach Ägypten und in die Wüste; Syrien, Irak, Afghanistan und Pakistan werden homogen als eine Krisen- und Kriegsregion vorgeführt, die im Bombenhagel versinkt. Bunte Bilder aus Nordkorea, Indien, China, der Antarktis, Süd- und Nordamerika folgen. Das Feuerwerk an niveaulosen Gags auf Kosten der ‚Anderen‘ ist kaum zu überbieten, etwa wenn ein arabischer Mann als Terrorist dargestellt wird – mit Patronengürtel um die Schulter und Wasserpfeife unter dem Arm, gibt er komisch krächzende Laute von sich. Ebenso niveaulos geht es zu, wenn eine Samba-Kombo in Brasilien Schwarz markiert wird, indem die Spieler mit schwarzen Lockenperücken durch die Manege tanzen. In Deutschland, wo die Menschen arbeitsamer scheinen als im Rest der Welt, wird geschunkelt und im Stechschritt marschiert. Bei der Überquerung der deutschen Grenze erfährt Phileas Fogg, dass Deutschland das einzige Land sei, in das alle einfach so reinkönnen. Bruhaha. Ob Frauen denn in diesem Land auch wählen und Autofahren dürfen? Zum Schenkelklopfen, diese pfiffigen Aktualisierungen. Immerhin hat das Regie-Duo wenigstens davon abgesehen, die rassistische Praxis von blackface vollends anzuwenden.

Foto: „In 80 Tagen um die Welt“, (c) Sebastian Hoppe

Das Programmheft bezeichnet diese Inszenierung als „sehr eigene anarchisch-komische“ Neuadaption des ‚zeitlosen Romans‘. In diesem Zusammenhang wird immerhin auf Kolonialismus und Imperialismus im 19. Jahrhundert verwiesen, in deren Kontext auch Vernes Roman zu lesen ist: Sein „Blick auf die Welt ist durchaus eurozentristisch-kolonialistisch und nur gelegentlich durch zarte Selbstironie gemildert.“[1] Peter Jordan und Leonhardt Koppelmann scheinen es in der Theorie ‚gut gemeint‘ zu haben, doch ihre Inszenierung bildet Vernes Haltung und das kolonialrassistische Denken des 19. Jahrhunderts, leider mimetisch ab, anstatt Distanz zu schaffen aus heutiger Sicht und sie zu dekonstruieren. Eine Triggerwarnung zu Beginn hätte die Sache zwar nicht besser, geschweige denn gut gemacht. Aber es wäre zumindest ein Ansatzpunkt gewesen, um die kommende, haarsträubende Reise in 80 Stereotypen um die eurozentristische Welt zu verfremden. So befremdet dieser Abend, gelinde gesagt.

Wer das Programmheft nicht gelesen hat wird davon ausgehen, dass diese Aneinanderreihung von Klischees, die mehrheitlich platt, dumm oder haarsträubend peinlich sind, unreflektierter Teil der ‚deutschen‘ (Lach-)Kultur sein sollen. Was bisweilen noch mehr irritiert als die flachen Witze auf Kosten der Anderen, ist das Lachen im Publikum. Es lachen bei weitem nicht alle, aber dennoch zu viele.

 

„Underground Railroad Game“

Eine Einheit gelebten Geschichtsunterrichts kündigt Teacher Stewart an der Seite von Teacher Caroline dem Publikum an, das als Schulklasse der Hanover Middle School adressiert wird, das an einer fiktiven Schulstunde teilnimmt. Das Thema, erklären die beiden mit ernster Miene: Der US-Bürgerkrieg und Versklavungsgeschichte, interaktiv in Form eines Spiels vermittelt, dem titelgebenden „Underground Railroad Game“. Triggerwarnung: Das N-Wort wird fallen. Im Laufe des Abends wieder und wieder, in diesem Text: einmal.

In Anlehnung an das geheime Netzwerk von Tunneln, über das freigekommenen Versklavten aus den Südstaaten die Flucht in den freien Norden gelang, sollen zwei Teams pro und kontra Versklavung Schwarzer Menschen gegeneinander antreten – um die Geschichte entweder zu bestätigen oder neu zu schreiben. Dieser „educational civil war“ wird mit Schwung im Klassenzimmer nachgespielt, mit „Go Unionists!“, „Go Confederates!“-Schlachtrufen. Es gilt in diesem Spiel, möglichst viele Versklavte – repräsentiert durch Schwarze Puppen – in die Freiheit zu schmuggeln respektive zu fangen und einzusperren, und somit Punkte zu sammeln. Wer die meisten Punkte erzielt, hat gewonnen! Vor Unbehagen zögern die Zuschauer*innen, die der Südstaatenseite angehören, ‚ihr‘ Team anzufeuern.

Foto: „Underground Railroad Game“, (c) Ben Arons

Dies ist nur einer von vielen Irritationsmomenten, den diese scharfsinnige und beißende Komödie erzeugt, die dieses Jahr den Obie Award in der Kategorie „best new American theatre work“ abgeräumte. Im Rahmen von „Theater der Welt“ feierte der New York Times Critics‘ Pick am 31. Mai 2017 auf Kampnagel Europapremiere. Entwickelt von Jennifer Kidwell und Scott Sheppard, die auch Teacher Stewart und Teacher Caroline verkörpern, offenbart sich die Inszenierung in der Regie von Taibi Magar als ebenso rasante wie herausfordernde Komödie, die in Hinblick auf die Thematisierung von Rassismus nie ins Würdelose kippt. Sie legt den Finger nicht nur in die Wunde Rassismus, sie stochert tief darin und legt differenziert die Abgründe frei, die sich in der Sprache oder im Ungesagten auftun. Musicalfilm-Zitate, gerappte Satzfetzen, Schatten- und Puppentheaterszenen, Rückblenden auf Szenen aus dem US-Bürgerkrieg zwischen einem Quaker und einer Versklavten mischen sich mit Szenen vor der fiktiven Schulklasse und Momenten, in denen sich Teacher Caroline und Teacher Stewart privat näher kommen.

Es ist die scharfe Beobachtung der Äußerungsformen von Rassismus im Alltag, auch und vor allem in Sprache, Situationen der Verlegenheit, wo Sprache entgleist, es einem Sprache die verschlägt: nicht nur der Schwarzen Lehrerin, sondern auch dem Weissen Lehrer, dem Publikum. Gekoppelt mit Sexismus verschärft sich die ungleiche Situation, wenn etwa Stewart Teacher Caroline in einer verstörenden Hartnäckigkeit von mansplaining ins Wort fällt. Im Verlauf des Spiels hat jemand das Wort „Niggerlover“ auf eine Tafel geschmiert: Sie ringt nach Worten und versucht deutlich zu machen, warum sie als Vertreterin der Institution Schule, aber auch als Individuum entsetzt und verletzt ist über die Schmiererei, über den Begriff, über die Sorglosigkeit, mit der offenbar das Ganze für einen Scherz gehalten wurde. Es sind die sprachlichen Unterschiede zwischen „Sklave“ und „versklavter Mensch“, beispielsweise, die ihr wichtig sind, um rassistische Denkmuster offenzulegen. Doch Teacher Stewart, der Weisse heterosexuelle Mann übernimmt das Sprechen für sie: Er erklärt ihr und den Anwesenden, wie es sich anfühle, mit dem Begriff konfrontiert zu sein.

Die tiefsten Abgründe tun sich allerdings in der zwischenmenschlichen Beziehung dieser beiden Figuren, dem Weissen Mann und der Schwarzen Frau, auf: Etwa, wenn er unbedarft generalisierend von „ihren Leuten“ – black people – spricht. Oder wenn er sich ausmalt, wie aufregend exotisch Sex mit einer Schwarzen Frau wäre. Als Teacher Caroline in die Rolle der Domina schlüpft und mit der Verheißung von „sex detention“, die sexuellen Fantasien von Teacher Stewart anregt, kippt allmählich die Szene, die an die Grenze des Erträglichen geht: Er steht nackt auf einem Podest, sie taxiert seinen Körper und seine mentalen Fähigkeiten, fragt, ob er lesen könne, demütigt den Wehrlosen in der Umkehrung der Machtverhältnisse, indem sie sich als Herrin geriert, die einen Versklavten drangsaliert. Sie zwingt ihn, das N-Wort auszusprechen, wieder und wieder, laut und deutlich; die entwürdigende Fleischbeschau mündet in eine körperliche Auseinandersetzung, bis er im Rhythmus des schmerzlich geschrienenen N-Wort masturbiert. Versehrt, überfordert von der Situation, gehen Teacher Caroline und Teacher Stewart auseinander.

Schreiten wir voran in der Geschichte? Machen wir Fortschritte? Ist das denn dasselbe?, sind die zwei Figuren uneins. Das fragt man sich auch still als Zuseher*in angesichts nicht abreißender Polizeigewalt, institutionellem und alltäglichem Rassismus, dem sich people of colour aktuell ausgesetzt sehen – nicht nur in den USA, auf dessen Kontext sich „Underground Railroad Game“ bezieht –, sondern auch in Deutschland und Europa. Für ein Publikum in Deutschland erscheint das Geschehen aus dem ländlichen Nordamerika zunächst wie aus einer fremden Welt: Es fallen die Namen von Protagonist*innen des Bürgerkrieges und Abolitionist*innen, mit übertriebener patriotischer Inbrunst wird „Glory Halleluja“ intoniert. Doch die Thematisierung der Kategorie ‚Rasse‘ und Rassismus ist in Deutschland genauso virulent. Das zeigt – wenn auch auf andere Art – auch die besprochene Inszenierung „In 80 Tagen um die Welt“.

An dieser Stelle sei lediglich beispielhaft an die Debatten verwiesen, die in den letzten Monaten im Bereich der ‚Kultur‘ geführt wurden und schmerzlich bewusst machen, wie es um Rassismus hierzulande steht: Wenn sich rechtskonservative Bürgerinitiativen über die Besetzung des Hauptmanns von Köpenicke mit einem Schwarzen Schauspieler als ‚undeutsch‘ empören, oder wenn ein Karnevalsverein in Fulda im Jahr 2017 es lustig findet, sich als Kolonialherren und Schwarze ‚Wilde‘ zu verkleiden und noch dazu die rassistische Praxis von blackface als harmlose Tradition argumentiert, weil Karneval deutsche Kultur sei. Dann zeigt das, wie tief das Problem von rassistischem Denken auch hierzulande ist und wie notwendig die Auseinandersetzung damit in der Kulturlandschaft, aber auch die Diskussion über Kultur und Rassismus ist.

 

[1] Programmheft „In 80 Tagen um die Welt. Nach dem Roman von Jules Verne, Theaterfassung von Peter Jordan“, Düsseldorfer Schauspielhaus 2016, S. 15.