Quelle: KNA
Seit einiger Zeit läuft zwischen der deutschen und der namibischen Regierung ein Dialog zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit. Im Kern geht es um den Völkermord an Zehntausenden Herero und Nama in den Jahren zwischen 1904 und 1907/1908 durch deutsche Truppen in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika.
Einige Vertreter der beiden Volksgruppen versuchen unterdessen, Deutschland in den USA vor Gericht zu bringen. Sie fühlen sich nicht angemessen an den Gesprächen beteiligt und dringen auf eine Entschädigung.
Im Gespräch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) versucht Jürgen Zimmerer, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Der Historiker ist Professor für Globalgeschichte mit Schwerpunkt Afrika an der Universität Hamburg und Experte für Kolonialismusforschung.
KNA: Herr Professor Zimmerer, soeben hat das Bezirksgericht in New York einen neuen Anhörungstermin für die Klage von Herero und Nama anberaumt. Ursprünglich sollte an diesem Freitag über den weiteren Gang des Verfahrens beraten werden. Was bedeutet die Entscheidung für die Aufarbeitung des Genozids?
Zimmerer: Es bedeutet zunächst einmal, dass die Möglichkeit einer Klage nach wie vor besteht. Durch die Verschiebung der Anhörung in New York – ausgelöst durch das Nicht-Erscheinen eines Vertreters der Bundesregierung – bleibt die Frage des Umgangs mit dem Völkermord an den Herero und Nama und des Umgangs mit den Nachkommen der Opfer virulent. Es zieht sich in die Länge und der Eindruck, dass Deutschland sich der Verantwortung nicht stellen will, wird verstärkt.
KNA: Das heißt in der Konsequenz?
Zimmerer: Für Deutschland ist das blamabel und bedeutet einen weiteren Imageverlust. Wenn die Verzögerung deutsche Strategie war, so stellt sich die Frage nach deren Zweck.
KNA: Die deutsche Seite verweist darauf, dass es seit 2015 auf Regierungsebene bereits einen Dialog mit Namibia zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit gibt – wozu braucht es da noch einen Prozess in den USA?
Zimmerer: So wie der Dialog von Deutschland und Namibia aufgesetzt ist, war er meiner Ansicht nach zum Scheitern verurteilt. Wesentliche Teile der Opfernachkommen fühlen sich nicht angemessen beteiligt. Die UN Konvention zum Schutz indigener Minderheiten von 2007 stützt diese Sichtweise. Indigene Minderheiten genießen einen besonderen Schutz.
Insbesondere postkoloniale Nationalstaaten vertreten nicht immer angemessen die Rechte ihrer Minderheiten.
KNA: Wie meinen Sie das?
Zimmerer: Die Kolonialverbrechen wurden an Herero, Nama und zu Teilen den San begangen, aber beispielsweise nicht an den Ovambo, der größten Volksgruppe in Namibia, dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika.
Die Ovambo sind jedoch weit stärker in der Regierung vertreten. Ihre Interessen sind aber nicht notwendigerweise mit denen von Herero und Nama identisch. Schon allein das zeigt, wie problematisch es ist, wenn jetzt Namibia als Ganzes mit Deutschland verhandelt.
KNA: Moment – an der Spitze auf namibischer Seite steht mit Zed Ngavirue ein Herero.
Zimmerer: Das ist richtig, zeigt aber mit Blick auf den Klageversuch in New York die Risse, die durch die Gesellschaft gehen. Es gibt natürlich auch Herero und Nama, die hinter dem Kurs der Regierung stehen. Ein ganz erheblicher Teil tut das allerdings nicht.
KNA: Das kann doch nicht das Problem Deutschlands sein.
Zimmerer: Aber es ist seit langem bekannt, dass sich Herero und Nama über Benachteiligungen durch die Regierung in Windhuk beschweren, was sich beispielsweise auch auf die Verteilung der deutschen Entwicklungshilfegelder bezieht. Ich halte das Vorgehen der Bundesregierung für mindestens unsensibel und frage mich inzwischen, wie ernst sie es mit der Anerkennung des Völkermordes und der Aussöhnung meint.
KNA: Das ist ein schwerwiegender Vorwurf – woran machen Sie das fest?
Zimmerer: Außer an der Nichtberücksichtigung der Herero und Nama als Verhandlungspartner und dem kategorialen Ausschließen jeder Wiedergutmachung zum Beispiel auch an der Tatsache, dass es rund ein Jahr brauchte, bis die deutsche Regierung auf einen Katalog mit Forderungen von der namibischen Seite antwortete. Auf der Homepage der deutschen Botschaft in Namibia wurde dieser Schritt Ende vergangenen Monats verzeichnet mit dem Zusatz, man habe das Papier „die Ereignisse von 1904-1907“ betreffend dem namibischen Delegationsleiter Zed Ngavirue überreicht. Das hat für viel Wirbel in Namibia gesorgt.
KNA: Inwiefern?
Zimmerer: Kritiker werfen Deutschland vor, auf Zeit zu spielen.
Außerdem ist nicht bekannt, was in dem Papier genau steht. Die in New York klagenden Herero und Nama bleiben also wieder einmal außen vor.
Und dann die Wortwahl: „Ereignisse“ statt „Völkermord“! In Namibia wurde das sehr sensibel registriert und man fragte sich, ob Deutschland schon in der Terminologie das Eingeständnis eines Genozids wieder zurücknehmen wolle.
KNA: Was wäre aus Ihrer Sicht zu tun, um der Aufarbeitung der Kolonialverbrechen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika neuen Schwung zu verleihen?
Zimmerer: Man müsste den gesamten Dialog neu aufsetzen, mit einer breiten Beteiligung der Zivilgesellschaft. Aber das wird immer schwerer. Mein Eindruck ist, dass der Vertrauensvorschuss Deutschlands, den es zu Beginn der Gespräche vor zwei Jahren genoss, verspielt ist. Das hat auf namibischer Seite bereits tiefe Spuren hinterlassen. Und führt dazu, dass die Forderungen, die von dort kommen, immer radikaler werden.