Von Caroline Herfert
Vor kurzem widmete 3sat dem Festival „Theater der Welt“, das vom 25. Mai bis 11. Juni 2017 in Hamburg stattfand, einen ausführlichen Beitrag. Als Kooperation zwischen dem Thalia Theater und Kampnagel erklärte das internationale Festival, das alle zwei bis drei Jahre in einer anderen deutschen Stadt ausgerichtet wird, die Hansestadt für beinahe drei Wochen zum „Hafen für die Künstler*innen der Welt“.[1]
Einige der gezeigten Produktionen und die Theaterschaffenden dahinter präsentiert der Journalist und Moderator Eric Mayer in der 30-minütigen 3sat-Sendung „Theater: ein Fest!“. Er bespricht u.a. Inszenierungen, über die auch wir auf diesem Blog berichtet haben: die Installation „Sanctuary“ über Populismus und Ausgrenzung in der ‚Festung Europa‘; die Tanztheaterproduktion „Inoah“, die in Zeiten von Migration und geschlossenen Grenzen ein Plädoyer für die Freiheit von Bewegungen darstellt, und die provokante Komödie „Underground Railroad Game“ über die Abgründe von Rassismus. Nachdem Tania Mancheno und ich „Theater der Welt“ aus postkolonialer Perspektive intensiv begleitet haben, ist dieser ausführliche 3sat-Beitrag ein idealer Anknüpfungspunkt, um nach Abklingen des Festivalfiebers zurückzublicken und Bilanz zu ziehen.
Mit der zentralen Denkfigur des Hafens knüpfte das Festival an das Selbstbild Hamburgs als weltoffene Hafenstadt an, hinterfragte aber zugleich die Metapher des „Tors zur Welt“ kritisch: Diese „Begrifflichkeit vom ‚Tor zur Welt‘ hat immer auch etwas Kolonialistisches“, betonte Festivalleiter Joachim Lux im Interview für unseren Blog. „Jetzt kommen die ehemals Kolonialisierten zurück und erklären uns eine Welt, die wir nicht mehr dominieren – Ironie der Geschichte. Wir brauchen ein bisschen mehr Demut, das tut ganz gut“, so der Intendant des Thalia Theaters. Dementsprechend war auch das Festivalprogramm, das 45 Produktionen von 5 Kontinenten beinhaltete, ganz bewusst nicht von mitteleuropäischen Theaterschaffenden dominiert. Gut so!
“We were interested instead in what was happening across and beyond Europe’s borders and in the different artistic responses to the realities of the artists’ home countries, be it the current political situation in the US, the drug war in Columbia or the suppression of identity and artistic freedom in Belarus.” [2] (Joachim Lux)
Hafen im Fokus
Eröffnet mit dem postkolonialen Denker Achille Mbembe und seinen Überlegungen zu unserer planetarischen Verantwortung, setzte „Theater der Welt“ mit insgesamt 330 Veranstaltungen politische Akzente, rückte den Hafen – und damit Themen wie Globalisierung, Flucht, Migration – ins Blickfeld und machte neben Kampagel, Thalia Theater und Elbphilharmonie auch eine Reihe von unkonventionellen Spielorten in der Stadt zur Bühne.
Vor allem bespielte das Festival das erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Baakenhöft in der Hafencity, wo auch die Festivalzentrale „Haven“ ihre Zelte aufschlug. Sie wurde von verschiedener Seite als Herzstück und größter Wurf des Festivals bezeichnet. In der Tat belebte „Theater der Welt“ dieses abgeschiedene Areal in Blickweite zur Elbphilharmonie, aber auch in Blickweite zu den Geflüchtetenunterkünften am Baakenhafen. Bei mehrheitlich sonnigem Wetter entpuppte sich „Haven“ als angenehmer Rückzugs- und Begegnungsort zugleich: Hier konnte man mit anderen Festivalbesucher*innen oder Künstler*innen ins Gespräch kommen, im Liegestuhl die Füße hochlegen, die Seele in entspannter Atmosphäre baumeln lassen und abschalten bei einem kühlen Getränk oder liebevoll zubereiten Gözleme, Samosas oder gebratenen Merguez-Würstchen.
Das Gelände am Baakenhöft, das bei diesem Festival eine zentrale Rolle einnahm, war nicht nur außergewöhnlicher Spielort für eine Reihe von Produktionen, die den Hafen und die Themen Migration, Flucht, Globalisierung thematisierten. Die Programm „Diskurs und Vermittlung“ des Festivals, die auch einen Afrika-Schwerpunkt beinhaltete, befragte den Hamburger Hafen nicht zuletzt auch als kolonialen Erinnerungsort: Die phänomenale lecture performance „Ports“ von geheimagentur, einem in Hamburg tätigen Künstler*innenkollektiv, befasste sich ebenso mit dem kolonialen Erbe der Stadt wie die Podiumsdiskussion „Afrika – Wie lebt Hamburg mit seiner kolonialen Vergangenheit?“. Hier waren sich die Diskutant*innen Prof. Dr. Jürgen Zimmerer, Prof. Dr. Henri Seukwa, Tahir Della und Hannimari Jokinen waren einig, dass Rassismus, der (wieder) auf dem Vormarsch ist, ohne Aufarbeitung von Kolonialgeschichte nicht überwindbar sein wird. Jürgen Zimmerer betonte dabei, dass es Kolonialismus in dieser Auseinandersetzung nicht bloß als Unterkapitel der (deutschen) Geschichte zu betrachten gelte, sondern vielmehr als Schlüssel für die grundlegende Verortung Europas.
Doch nicht nur lecture performances, Podiumsdiskussionen, ein Hafen-Kongress oder Gespräche etwa über Christoph Schlingensieffs „Operndorf Afrika“ in Burkina Faso waren Teil des umfassenden Veranstaltungsangebots neben Konzerten, Installationen, Tanz-, Sprech- und Musiktheater. Auch postkoloniale Hafenrundfahrten und Stadtrundgänge durch die Hafencity machten einen Teil des breitgefächerten Festivalprogramms aus, um Aus- und Einblicke in den größeren Kontext zu bieten und die Verortung des Festivals im Hafen zu reflektieren. Die „Inszenierung des Hafens“ spielt für Hamburg keine unwesentliche Rolle – das wurde auch in der Konzeptbesprechung des geplanten Deutschen Hafenmuseums im Rahmen des Festivals deutlich. Umso wichtiger und wertvoller erscheint das Diskurs- und Vermittlungsprogramm als integraler Bestandteil von „Theater der Welt“, das neben der künstlerischen Auseinandersetzung u.a. dem kolonialen Erbe der Stadt Rechnung trug.
In 18 Tagen um das „Theater der Welt“: Globalisierung, Flucht, Migration
In diesen 18 Festivaltagen habe ich nicht wenige Veranstaltungen besucht – genauer gesagt 22 an der Zahl –, und dabei doch nur einen Bruchteil des immensen Festivalprogramms gesehen. Mein Fazit? Das bereits erwähnte Ineinandergreifen von künstlerischem Programm und „Diskurs und Vermittlung“ zählte für mich zu den Stärken dieses Festivals. Bei wenigen Vorstellungen, wie „In 80 Tagen um die Welt“, wünschte ich, sie wären mir erspart geblieben. Dessen ungeachtet hat das Festival insgesamt spannende Impulse gesetzt und mich weitaus häufiger beeindruckt, bewegt oder angeregt nachhause gehen lassen. Was mir am stärksten in Erinnerung blieb, war dabei nicht Haydns „Schöpfung“ in exzellenter Besetzung in der beeindruckenden Elbphilharmonie, inszeniert von der legendären katalanischen Truppe La Fura dels Baus. Es waren auch nicht die mit Spannung erwarteten Eröffnungsproduktionen des neuseeländisch-samoanischen Star-Regisseurs Lemi Ponifasio und des chinesischen Künstler-Shootingstars Tianzhou Chen. Beide Inszenierungen haben mich nur bedingt begeistert. Doch dessen ungeachtet gebührt deren prominenter Positionierung im Gesamtprogramm Anerkennung: Das vierköpfige Kuratorium – bestehend aus Amelie Deuflhard, Sandra Küpper, Joachim Lux und Andras Siebold – setzte mit diesen nicht-europäischen Produktionen und Achille Mbembe als Eröffnungsredner programmatische Zeichen für die hiesige Kulturlandschaft: Die Festivaleröffnung stand konsequenterweise für das Gesamtprogramm, das dazu einlud, den Blick über den eigenen, europäischen Tellerrand für die nächsten 18 Tage weniger zur Ausnahme, als vielmehr zur Regel zu machen. Was mir von „Theater der Welt“ am stärksten in Erinnerung blieb? Dazu komme ich noch.
“Many of the invited productions involve current political issues, such as flight and migration, or opened up the space for political interpretations and contexts“, erläuterte Lux die Ausrichtung des Festivals: “In times of nationalization and isolation, of borders and instability, it is important to show counter-models and signs of openness and respect for the diversity of cultures.”[3] (Joachim Lux)
„Theater der Welt“ holte Künstler*innen von fünf Kontinenten nach Hamburg und bot damit die Möglichkeit, die Vielfalt und Vielstimmigkeit ästhetischer Handschriften, Theaterformen und Companies kennenzulernen, die hierzulande – wenn überhaupt – kaum so geballt zu sehen sind: Sei es Wael Shawkys mitreißende Musikperformance Song of Roland: The Arabic Version, die die Geschichte der Kreuzzüge aus arabischer Sicht darstellt, der außergewöhnliche libanesische Tanz- und Kochabend „Beytna“ oder die burkinische Tanztheaterproduktion „Du désir d’horizons“, die Erfahrungen von Geflüchteten in Camps in Burundi und Burkina Faso thematisiert. Letztere erzählte von Momenten des Aus- und Aufbrechens – aus Staaten, aber auch Zuständen -, des Wartens, des Ankommens. Mechanismen von Inklusion und Exklusion, Aggression und Gewalt, Strapazen der Flucht, aber auch Momente des Trosts übersetzte der Choreograph Salia Sanou in starke Bilder, in die ab und an kurze Texte der kanadisch-französischen Autorin Nancy Huston eingeflochten wurden: „Look at the state you’re in. We’ll have to move you to another one… Chin up! Chin up!“
So, wie Flucht und Migration wichtige thematische Konstanten im Festivalprogramm darstellten, befassten sich auch nicht wenige Produktionen mit dem Phänomen der Globalisierung – etwa die deutsch-burkinische Koproduktion „Silmandé“. Entwickelt von der transnationalen Gruppe Hajusom, dem Kammerorchester Ensemble Resonanz und Jardin Silmandé, imaginierte diese „future performance“ – so der Untertitel – in einer Mischung aus Musik, Sprechtheater, Installation und Performance die Zukunft der Erde. Diese Zukunfts-Vorstellung entwarf Bilder eines Planeten, auf dem das Leben nach dem selbstherbeigeführten Untergang der Menschheit weitergehen wird: „Wir befürchten das Schlimmste, wir stimmen uns ein!“, sagt eine der Figuren zu Beginn. Es geht in weiterer Folge um den Klimawandel, Flucht und Migration vom Globalen Süden in den Globalen Norden, Erdöl-Gewinnung und die Ausbeutung von Rohstoffen in Nordmali – und die Interessen der früheren Kolonialmacht Frankreich, die Interessen von Großkonzernen und asymmetrische Machtstrukturen.
Der dichte, gleichermaßen anspruchsvolle wie unterhaltsame Abend, bei dem Schaumparty und Slapstick auf Shakespeares Macbeth treffen, wo die Erzählungen persönlicher Fluchterfahrungen aus Afghanistan auf gelungen ironische Gesangseinlagen („Nur gemeinsam können wir die Welt retten, weil wir so schöne Menschen sind, weil wir Künstler sind“) treffen, provoziert Assoziationen zur Eröffnungsrede Mbembes: Mit dem Schlagwort „planetarisch“ mahnte er, dass wir Menschen nicht die einzigen Bewohner*innen dieses Planeten sind, dass die Geschichte der Menschheit auf der Erde eine kurze ist. Gefangen in einer historischen Spirale der Gewalt, die sich nicht nur im Umgang mit Geflüchteten in Europa zeigt, gebe es keinerlei Garantie, dass wir immer hier sein werden. Damit implizierte Mbembe, was er als notwendige „ethics of consequences“ einforderte: Wenn wir so weitermachen, wenn wir nicht über die Zukunft der Demokratie, der Freiheit und der Vernunft nachdenken, wenn wir nicht aus der Spirale der Eskalation und der Politik der Gewalt herausfinden, dann wird die menschliche Präsenz auf der Erde definitiv endlich sein. Die Gratwanderung zwischen Komik und Ernst, der Auseinandersetzung mit aktuellen Themen und überzeugender ästhetischer Umsetzung ist bei „Silmandé“, über das auch die 3sat-Sendung „Theater: ein Fest!“ berichtet, trotz Längen gegen Schluß mit Bravour geglückt.
Kunst findet Stadt: local meets global an Alster, Elbe und Hafencity
Mit zu den spannendsten und berührendsten Erfahrungen dieses Festivals zählen für mich site-specific Produktionen, die in und für Hamburg entwickelt wurden und die sich mit Einschreibungen von Geschichte(n) in den Stadtraum auseinandersetzen. Sie trugen dazu bei, ein zentrales Anliegen des internationalen Festivals zu verwirklichen: “Bringing us closer to unfamiliar worlds, changing or expanding our own view of the global through the lens of the local”[4], so Thalia Intendant Joachim Lux.
Eine dieser bemerkenswerten, kreativen Erkundungen von Hamburg, die darauf zielten, die Stadt mit anderen Augen wahrzunehmen, bot das „Urban Bodies Project“ von Yolanda Gutiérrez. Mit dem Imperativ „decolonize!“ nahm die Produktion das Publikum mit auf eine künstlerisch-wissenschaftliche Spurensuche nach kolonialen Einschreibungen im Stadtbild. Über Kopfhörer lauschte man Gedanken zum Topos des Schiffs und der Plantage, die sich etwa in der Architektur des Chilehauses niederschlagen.[5] Man hörte Fakten über den Handel mit Kolonialwaren und den Reichtum, den die Hansestadt im Handel mit der kolonialen Welt erwirtschaftete – und für den die Speicherstadt steht. Gelesene Passagen aus Achille Mbembes „Kritik der schwarzen Vernunft“ reihten sich an Erinnerungen an den Völkermord an den Herero und Nama, aber auch an Stimmen zur Umbenennung von Straßennamen mit kolonialen Bezügen in der Hafencity. Von Performer*innen und Tänzer*innen begleitet und durch ihre Interventionen immer wieder unterbrochen, vermochte dieser komplexe Audio-Spaziergang vom Chilehaus bis zum Festivalgelände am Baakenhöft dynamische Spannungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu erzeugen, historische Abgründe und vielfältige Perspektiven auf die Hafencity als jüngsten Stadtteil aufzuzeigen.
„Urban Bodies Project“ (Yolanda Gutiérrez), Video: Daniel Andrés Ospina López
Während „Urban Bodies Project“ Hamburg zu Fuß erkundete, wählte die australische Produktion „Five Short Blasts“ den Wasserweg: Auf zwei verschiedenen Routen erfuhr das Publikum auf einer entschleunigten, morgendliche Bootsfahrt auf der Alster bzw. auf der Elbe alles über das bestimmende Element in dieser Stadt. Madeleine Flynn und Tim Humphrey haben in Hamburg recherchiert und Geschichten von Menschen zusammengetragen, die von ihrem Verhältnis zum Wasser in Hamburg und zur Stadt erzählen. Trotz sportlich frühem Beginn – 6:30 Uhr, bzw. 8:30 Uhr –, waren sämtliche Touren bereits im Vorverkauf schnell ausverkauft; zu recht, wie sich herausstellen sollte. Ich Glückliche saß eines Morgens mit an Bord der Barkasse, die bei strahlend blauem Himmel gemächlich vom Meßberg lostuckerte.
Über Kopfhörer lauschte man Musik, hörte Geschichten von einem alten Fischer, einer Ingenieurin auf Containerschiffen, einem Stadtplaner oder einer geflüchteten Frau aus Syrien, die von ihrer traumatischen Flucht übers Mittelmeer in einem überfüllten Boot berichtet. Die poetische Versuchsanordnung spürte den Geschichten dieser Menschen nach, während wir – verköstigt mit heißem Tee und Keksen – durch die menschenleere Speicherstadt und später an den Containerterminals vorbeischipperten. Verknüpft mit einer akustischen Reise durch Raum und Zeit, entpuppte sich diese Erkundung von Hamburgs Wasserwegen und dem Hafen als Herzschlag der Stadt zu einer Hafenrundfahrt der anderen Art. An den Ufern oder gar auf dem Wasser überraschten immer wieder kurze poetische Szenen und surreale Momente: Menschen jonglierten am Ufer, ein paar hundert Meter weiter vollführte eine Frau Sonnengrüße auf einer Brücke; ein Mann schritt auf Stelzen an einem Kai auf und ab.
Five Short Blasts Hamburg 2017 from Madeleine Flynn and Tim Humphrey on Vimeo
Wenn Morgenmuffel wie ich hellwach, gut gelaunt und guter Dinge vormittags von dannen schweben, dann will das etwas heißen: Meine Begeisterung für frühes Aufstehen hält sich wahrlich in Grenzen, doch für „Five Short Blasts“ hat es sich mehr als gelohnt. Diese unprätentiöse Arbeit war nicht nur einer der Beiträge, die mich am meisten beeindruckt haben. „Five Short Blasts“ zählte auch zu den Produktionen, die um Ängste und Zweifel kreisen, und dennoch zuversichtlich stimmen, Mut machen – auch das ein gesetztes Ziel des Festivals. „Komm, schwimm weiter, halt nicht an. Zuhause ist, wo das Wasser wohnt“, wiederholte die Erzählstimme aus dem Kopfhörer wieder und wieder, während die Barkasse auf den gleißenden Wellen der Elbe dem Anleger im Hafen zusteuerte: „Komm, schwimm weiter, halt nicht an, wenn du keinen Hafen hast und nirgends bleiben kannst… Komm, schwimm weiter, halt nicht an…“. „Five Short Blasts“ erwies sich als eindrückliche Lektion darin, innezuhalten und aufmerksam zu sein, hinzuschauen, zuzuhören – auch lange, nachdem man von Bord gegangen ist Neues zu entdecken oder Bekanntes mit neuen Augen zu sehen, unabhängig davon, ob und wie gut man die Stadt kennt.
„Theater der Welt“: Politik als Programm
Dass sich „Theater der Welt“ mit seinem Programm bewusst als politisches Festival positionierte, bestätigten Amelie Deuflhard, Intendantin von Kampnagel, und Joachim Lux im Interview für die 3sat-Sendung: „Der Assoziationsraum Hafen war sehr dankbar für viele Künstler*innen“, erklärt Deuflhard, „weil die großen politischen Themen direkt vom Hafen abgeleitet“ werden können: Handel, Globalisierung, Migration, Flucht, aber auch Klimawandel. Vor dieser Folie sei das Festivalprogramm automatisch politisch geworden. Aber auch die Wahl der Spielorte sei sehr politisch zu lesen, betont sie: Mit der Bespielung von Orten wie dem gigantischen Kakaospeicher am Baakenhöft und dem nicht weit entfernten Oberhafenquartier, sah das Festival auch die Gelegenheit, einen „Impact für die Zukunft“ zu leisten, so Deuflhard. Sowohl die Zukunft des aufgelassenen Güterbahnhofs im Oberhafenqartier als auch der seit 2014 nicht mehr in Betrieb stehende Kakaospeicher sind nämlich ungewiss; es gibt Initiativen zum Erhalt des Oberhafens als Kreativquartier und der Öffnung des Afrikaterminals am Baakenhöft für die Öffentlichkeit. Dass die Aufmerksamkeit durch das Festival zur Lösung der Nutzungsfragen dieser Räume beitragen kann, wäre zu wünschen. Die Frage bleibt jedoch vorerst offen.
Die Ideen, Vorstellungen und Forderungen von Künstler*innen weltweit, denen das Programm von „Theater der Welt“ Raum gab, zeugen für den Fernsehjournalisten Eric Mayer von der „großen Angst, aber auch dem Veränderungs- und Widerstandswillen“ gegenüber gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Entstanden war die Sendung „Theater: ein Fest“ einige Wochen vor dem G20-Gipfel, ausgestrahlt wurde sie erst danach. Nach den Bildern von den gewalttätigen Krawallen rund um das G20-Treffen, die um die Welt gingen, vom massenhaften friedlichen Protest Zehntausender, der medial kaum wahrgenommen wurde und der notwendigen Diskussion über Polizeigewalt und akzeptable Formen des Protests, wirkt das Fazit von Eric Mayer über „Theater der Welt“ gespenstisch und eindringlich zugleich: Das Festival zeigte „Kunst die aufrüttelt, sich einmischt und Mut macht“, so Mayer. Dies scheint derzeit wichtiger denn je, gerade in Hamburg. Eine der nächsten Gelegenheiten dazu bietet das internationale Sommerfestival auf Kampnagel. Es greift einige Ideen, Vorstellungen und Forderungen, die das Programm von „Theater der Welt“ bestimmten, auf und führt sie weiter, ganz konkret etwa das Projekt „Free Port Baakenhöft“ von geheimagentur. Man darf vorfreudig gespannt sein!
[1] Siehe das mission statement auf der Website des Festivals: http://www.theaterderwelt.de/de/tdw (Zugriff: 26.07.2017).
[2] Michael Quinn: „Theater Der Welt: How Germany’s biggest festival is breaking borders beyond Europe” in: https://www.thestage.co.uk/features/2017/theater-der-welt-germanys-biggest-festival-breaking-borders-beyond-europe/ (Zugriff: 20.7.2017).
[3] Michael Quinn: „Theater Der Welt: How Germany’s biggest festival is breaking borders beyond Europe” in: https://www.thestage.co.uk/features/2017/theater-der-welt-germanys-biggest-festival-breaking-borders-beyond-europe/
[4] Michael Quinn: „Theater Der Welt: How Germany’s biggest festival is breaking borders beyond Europe” in: https://www.thestage.co.uk/features/2017/theater-der-welt-germanys-biggest-festival-breaking-borders-beyond-europe/
[5] Zum Topos des Schiffs und der Plantage sowie deren Niederschlag im Hamburger Stadtbild siehe ausführlicher auch den Stadtrundgang „Die versteckten Schiffe der Speicherstadt – Kolonialismus und Widerstand“, konzipiert von Tania Mancheno, die auch an „Urban Bodies Project“ mitgewirkt hat.