Prof. Dr. Jürgen Zimmerer plädiert in einem ausführlichen Interview mit dem Deutschlandfunk für eine unabhängige Aufarbeitung der Aneignungsgeschichte kolonialer Sammlungen und berichtet von seinen Erfahrungen, die postkoloniale Provenienzforschung auf ein tragfähiges theoretisches Niveau zu heben.
Am 29. April 2018 widmete sich Deutschlandfunk in der Sendung „Wissenschaft im Brennpunkt“ der zögerlichen Aufarbeitung des kolonialen Erbes in deutschen Museen und Sammlungen. Im lnterview betonte Prof. Dr. Jürgen Zimmerer, dass „die Frage der Provenienz kolonialer Objekte eine sehr drängende“ sei, und berichtet von den unter seiner Ägide stehenden Projekten.
Das politische Bewusstsein für die Verantwortung und Problematik, die mit dem Besitz kolonialer Objekte einhergeht, sei zwar gewachsen durch die anhaltenden Diskussionen um das Humboldt Forum und die Anerkennung der Bedeutung des Themas im aktuellen Koalitionsvertrag. Doch während die europäischen Museen voll mit kolonialen Objekten seien, gebe es „praktisch kaum Überlegungen und Versuche, wie man das in den Griff bekommt, denn viele dieser Sammlungen sind extrem schlecht dokumentiert“, so Zimmerer.
Im Interview erzählt er vom Forschungsprojekt „Koloniale Spuren im Übersee-Museum Bremen“ in dem unter seiner Leitung und in Kooperation mit dem Übersee-Museum die Provenienzen der Afrika-Sammlungen erforscht werden. Das Projekt, das von der Volkswagen-Stiftung gefördert wird, betritt dabei Neuland, weil es sich nicht nur auf spektakuläre Objekte konzentriert, sondern die Sammlungsgeschichte schlecht dokumentierter Sammlungen untersucht, und zwar in einem innovativen Zugang aus musealer Objekt-, historischer Provenienz- sowie Feldforschung in den Ursprungsländern. Dabei gehe das Projekt über das Erkenntnisinteresse klassischer Provenienzforschung hinaus, weil nicht nur die Erwerbungen des Museums interessieren, sondern der ursprüngliche Wechsel, also der Übergang der Objekte „aus afrikanischer Hand in europäische Hand“.
Dies bedinge ein tiefes Verständnis für den Kolonialismus, denn „es geht ja im Grunde darum, die Rolle auch der Museen insgesamt im Kolonialismus auszuloten und eben auch diesen Erwerbungskontext für ethnologische Museen generell in Frage zu stellen oder zu hinterfragen“. Dabei sei es unerlässlich, so Zimmerer, bei der Erforschung kolonialer Provenienzen unabhängige Stimmen zuzulassen und bewusst unabhängige Instanzen wie die Universität einzusetzen, wie es bereits im Übersee-Museum geschehe.
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