Welche Grenzen werden der Provenienzfoschung gesetzt? Um diese Frage dreht sich aktuell eine Debatte zwischen Prof. Dr. Philipp Osten und Prof. Dr. Jürgen Zimmerer auf der einen und dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (DZK) in Magdeburg mit seiner neu eingerichteten Förderlinie zur Erforschung kolonialer Kontexte auf der anderen Seite. Konkret im Mittelpunkt steht ein Projektantrag zur Aufarbeitung der Geschichte von derzeit noch 75 Human Remains aus aller Welt im Medizinhistorischen Museum Hamburg, die einem kolonialen Kontext zugeordnet werden können. Das DZK hatte Gelder nur für die Erforschung der Herkunft der Human Remains bewilligt, nicht aber für die Untersuchung von deren Verwendung in der Forschung und in Ausstellungen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts oder die Erforschung des Verbleibs weiterer Human Remains die laut Eingangsbuch einmal zur Sammlung gehörten.
Da sie in dem Versuch, „die Provenienzforschung von dem wissenschaftlichen Zusammenhängen in den damals sammelnden Institutionen trennen zu wollen“, ein Politikum erblickten und in der „Beschränkung auf kontextlose Provenienzforschung“ eine „inhaltsleere Pflichtübung“ sehen, die Grundlagenforschung nicht fördert, „sondern aus politischen Motiven verhindert“, zogen sie ihren Antrag zurück.
Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk erläutern die Antragsteller ihrer Position: Osten betont die Relevanz der öffentlichen Darstellung der Human Remains, da die Sammlung im dem Zweck der Konstruktion einer vermeintlichen ‚weißen Überlegenheit‘ genutzt wurde. Entgegen der Position der Stiftung sei diese Forschung von den Förderrichtlinien gedeckt. Zimmerer betont zudem die grundlegende Bedeutung der Entscheidung des DZK: „Das ist die Vorzeigeinstitution für das Versprechen der Bundesregierung, koloniale Provenienzen aufzuarbeiten. Und das ist die erste Förderrunde. Das heißt, es werden auch Präzedenzfälle geschaffen: ‚Was ist unter kolonialer Provenienz zu verstehen?‘“ Wenn nur die Herkunft von Objekten erforscht werden könne, werde unter anderem die Rolle der Institutionen wie etwa der Völkerkundemuseen ausgeblendet: „Ist es dann wirklich die kritische Aufarbeitung des kolonialen Erbes oder ist es eigentlich das Abfrühstücken und das Zur-Seite-Schieben, indem man auf die kleinste Definition von Provenienzforschung, die möglich ist, rekurriert?“