Die Stadt Umdenken_Repenser la ville_

Ein Projekt des Virtuellen Partizipationslabors Postkoloniales Erbe

Autorin: Tania Mancheno

 

Das Foto zeigt ein Porträt der ehemaligen Stadtkuratorin Hamburg Sophie Goltz.

Porträt von Sophie Goltz (c) Tania Mancheno 

Sophie Goltz war Stadtkuratorin Hamburg zwischen 2013 und 2016. Im Interview geht es vor allem um die transdisziplinären Kooperationen, die nach Goltz notwendig sind, um eine Diskussion über den deutschen Kolonialismus im öffentlichen Raum anzustoßen.

Singapur, Singapur

Tania Mancheno führte das Interview via Mailkorrespondenz im Dezember 2018.

Tania Mancheno:

Was waren Ihre zentralen Aufgaben, als Sie als Stadtkuratorin Hamburg tätig waren? 

Sophie Goltz: Die Auseinandersetzungen mit dem Modell „Stadtkuratorin Hamburg“, initiiert von einer Arbeitsgruppe der Kunstkommission der Kulturbehörde Hamburg 2013, haben mich zu einer dreifachen Strategie in den Bereichen Aktiveren, Kuratieren und Vermitteln geführt. Denn Aufgabe war es nicht nur ein künstlerisches Programm (Kuratieren) zu präsentieren, vielmehr sollte auch das Programm „Kunst im öffentlichen Raum Hamburg“ neu in der Hamburger Öffentlichkeit sowohl aus einer gegenwärtigen als auch aus einer historischen Perspektive (Aktivieren) verankert werden. Mir war es wichtig auch nach neuen edukativen Modellen zu suchen, mit denen wir den öffentlichen Raum als politisch-sozialen Raum neu ausloten. Unser Fokus lässt sich im Nachhinein allgemeiner als eine Auseinandersetzung mit der Stadt als koloniales Medium beschreiben. Wir haben uns hierfür intensiv mit Prozessen der Kosmopolitisierung und Dekolonisierung der Metropolenregion Hamburg beschäftigt. Aus der Perspektive von Kunst, der Erinnerungskultur(en) und des Aktivismus wurde gefragt nach der Hervorbringung eines rassifizierten, sexualisierten, klassen- und religionsspezifischen „Anderen“ gerade als räumlicher Praxis und verräumlichte Taktik.

TM: Die Beschreibung von den Aufgaben der Stadtkuratorin bleibt etwas abstrakt. Was genau macht eine Stadt mit einer Kuratorin? 

SG: Die Frage könnte also lauten: was macht eine Kuratorin mit der Stadt? Sie lernen sich kennen und wie in jeder Bekanntschaft gibt es verbindende Momente als auch befremdliche Begegnungen. Kuratorisch gesprochen: Wie lassen sich künstlerische Ideen aus und mit der Stadt verbinden als Einspruch, Widerspruch oder auch in Solidarität zur Verstärkung gemeinsamer Interessen? Zurückblickend war der Beschluss des Hamburger Senats zur Aufarbeitung der Hamburgischen und damit Deutschen Kolonialgeschichte sowie die damit einhergehende Einrichtung der universitären Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“ ein Geschenk: Hamburg ist voller Kolonialsymboliken (Straßennamen, Architekturen, Denkmäler, Artefakte, Tiere, Pflanzen, Gerüche wie von Kaffeeröstereien, etc.), Kolonialmechanismen (Handelsbeziehungen, Kontorein) und Kolonialimaginationen („Tor zur Welt“). Mit diesem Beschluss wurde die „scheinbare Unschuld“ dieser beständigen Vergegenwärtigungen einer vergangenen Kolonialmacht angreifbar — und zwar nicht aus einer liberalen Kulturkritik, sondern aus der regierungspolitischen Notwendigkeit heraus. Das befeuerte den damaligen Ansatz von Stadtkuratorin Hamburg, auch wenn die hanseatische Stadtgesellschaft etwas länger gebraucht hat. Die Stadt hat das Programm sehr unterschiedlich aufgenommen; heute hat sie zwei Kurator*innen… einen für die Stadt und eine für die HafenCity. Aber auch ein (medial) breit gefächerter Diskurs über die Kolonialgeschichte Hamburgs hat sich entfaltet. Meiner Meinung nach fehlt ein bisschen mehr Einmischung aus Kunst und Kultur und ihren Hamburger Institutionen und Institutionalisierungen, die eine Auseinandersetzung mit den eigenen notwendigen Veränderungen und mit der sich aus einer/dieser Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus ableiten lassen. Im Land der Aufarbeitungsweltmeister gibt es bisher keine öffentlich-gemeinschaftliche Erinnerungskultur an die Kolonialverbrechen, warum nicht? 

Das Foto zeigt die Fassade eines der Glaspavillions auf dem Rathausmarkt mit einem Schild mit der Aufschrift "DIFFERENECE".

Dekoloniale Intervention am Rathausmarktplatz, Hamburg 2016. (c) Tania Mancheno

Das Foto zeigt den Rathausmarkt. Auf den Boden wurden Texte in verschiedenen Farben (schwarz, weiß, blau) gesprayt. Um das Geschrieben stehen mehrere Menschen.

Dekoloniale Intervention am Rathausmarktplatz, Hamburg 2016. Initiiert wurde die Intervention von der Stadtkuratorin in Zusammenarbeit mit Andrea Herrera, Mitglied vom bolivianischen feministisch-interventionistischen Kollektiv Mujeres Creando, Tania Mancheno, sowie mit weiteren politisch selbst-organisierten rassifizierten Frauen aus Hamburg. (c) Tania Mancheno

TM: Mit welchen Akteur*innen und mit welchen Netzwerken hat die Stadtkuratorin operiert? Wie schätzen Sie Ihre Rolle in der institutionellen Kulturlandschaft von Hamburg ein? Bildete sie eine Bereicherung oder eher eine Konkurrenz? 

SG: Hamburg könnte sehr viel mehr in die Bildende Kunst investieren, d.h. dass die Stadt einen Überschuss produzieren könnte; daher ist es immer auch beides (Bereicherung und Konkurrenz). Allerdings könnte Konkurrenz hier auch als etwas anderes verstanden werden, z.B. als einen Anstoß, der die eigenen Argumente schärft und den vorschnellen (und unkritischen) Einverständnissen und Zugeständnissen im Kunstbetrieb zuwiderläuft. Mein Ansatz verfolgte mehrschichtige Kollaborationen vor allem mit kulturellen und politischen Akteuren*innen, die sich weitestgehend aus den künstlerischen Projekten ableiteten. Es fand eine wichtige Kollaboration mit Georges Adeagbo statt. Sein Projekt Inverted Space, das u.a. in der Kaserne in Hamburg-Jenfeld realisiert wurde, lud zur Auseinandersetzung mit der dortigen Denkmalanlage ein. Dies wurde zusammen mit dem Kulturforum Süd-Nord und unter Einbezug vom Arbeitskreis Hamburg Postkolonial ermöglicht. Projekte und damit Kooperationen zu initiieren, die unabhängig von kulturellen Projektlogiken weiter in die Stadt hineinwirken, war ein wichtiges und offenes Anliegen während meiner Zeit als Stadtkuratorin Hamburg. Ein Beispiel dafür, welches die Kulturlandschaft von Hamburg nachhaltig prägte, bildet die Gründung von der Silent University (TSU) in Hamburg, einer nomadischen Universität, die von und für Geflüchtete vom kurdischen Künstler Ahmet Ögüt in 2002 initiiert wurde. Für das Projekt wurde die W3—Werkstatt für Kultur und Politik und der Verein Zusammen Leben gewonnen. Zugleich bot TSU Hamburg zusammen mit der Initiative Never Mind the Papers eine Plattform für weitere Kooperationen wie mit Kampnagel oder der Recht-Auf-Stadt-Bewegung. 

TM: Das Initiativprojekt ist einmalig in Deutschland, würden Sie sagen, dass Hamburg damit neue Akzente für die Kunst im öffentlichen Raum gesetzt hat? 

SG: Angesichts der rapiden Urbanisierung und Digitalisierung in der Welt wird die soziale Rolle zeitgenössischer Kunst im öffentlichen Raum stets diskutiert. Auch die methodische Evaluierung im Vergleich, vor dem Hintergrund von u. a. politischer Zensur, ist ein weltweites Anliegen sowohl in der Kunst als auch in der Politik. Hamburg hat mit dem Initiativprojekt einen Vorschlag unterbreitet, der ein erster Schritt bildete, die „alteingesessene“ Kunst im öffentlichen Raum einem Wandel zu unterziehen. Aus diesem Grund ist das Interesse an Stadtkuratorin Hamburg außerhalb dieser Stadt sehr groß, auch über Deutschland hinaus. Als Stadtkuratorin wurde ich zu Konferenzen in Seoul und Shanghai eingeladen. Gleichwohl hat das Kulturreferat München mit Public Art Munich (PAM 2018) nachgezogen und einen Reader zu „City Curating“* herausgegeben, der, meiner Meinung nach zwar einem globalen Diskurs um Public Art folgt, jedoch nicht eine lokalspezifische „Kunst-im-öffentlichen-Raum-Programmatik (wie -Problematik)“ deutscher Kommunen aufgreift, die es kosmopolitan zu wenden gilt. Das Model Stadtkuratorin setzt wichtige neue Akzente, doch für eine urbane europäische Kunst heute braucht es andere, neue Infrastrukturen und auch eine andere Förderung, um in der Stadtgesellschaft mitzumischen und nicht nur deren öffentliche Plätze kritisch auszugestalten oder affirmativ zu unterhalten. Gemeinsam mit einer lokalen künstlerischen Arbeitsgruppe haben wir diesen Ansatz in dem Gutachten Urbane Kunst Hamburg weitergedacht und ausformuliert.

TM: Die aktuelle Ausrichtung von Stadtkuratorin Hamburg (II) nach Ihrer Zeit zeigt, dass ein Bezug zur Problematik des kolonialen Erbes in der Stadt keine Voraussetzung für die Stelle ist. Dies war jedoch zentral für Ihren Einsatz. Warum?

SG: Seit meiner Mitarbeit an der Documenta11 (2002), die vom nigerianischen Kurator Okwui Enwezor mit einem inhaltlichen Fokus auf postkoloniale Praxen und Theorien geleitet wurde, habe ich in meinen kuratorischen Projekten immer wieder die Frage nach anti-hegemonialen und dekolonialen Strategien in der Kunst gestellt. Da schien es mir folgerichtig, diesen Ansatz partiell auch in Hamburg fortzuführen. Hamburg als europäische „Krawallmetropole“ (als sie in den Medien während des G20-Treffens dargestellt wurde), als weltweitbekannte touristische Attraktion, als globales finanzkapitalistisches Spekulationsfeld bietet viele Einstiegsszenarien für kuratorisches Denken und künstlerisches Handeln. Doch es wird auch oft festgestellt, dass städtischer Raum mit seinen Politiken segregiert, sortiert und platziert. Diese unsichtbaren Strukturen aus postkolonialer Perspektive und damit auch aus einer Verbindung der europäischen Metropolen zum Kolonialismusprojekt versuchen nachzuzeichnen, schien mir sehr reizvoll. In der diskursiven Reihe Stadtgespräche. Metropolitane Perspektiven wurde explizit auf „urbane Paniken“ (Tsianos, 2014) angesichts von Migration verwiesen, denen ein institutionalisierter und verräumlichter Alltagsrassismus zugrunde liegt. Mit der neuerlichen Normalisierung von Antisemitismus im städtischen Alltag steht die deutsche Geschichte unausweichlich vor uns und sie verweist weit vor 1933… Ist es möglich rassistische Kontinuitäten und kulturpessimistischen Ausformungen aufzuzeigen und offenzulegen, und wenn ja, wie? Unter dieser Frage eine Spur in die Stadt legen und diese als koloniales Medium sehen und verstehen zu lernen, war der Vorschlag von Stadtkuratorin Hamburg.

TM: Rückblickend auf die zahlreichen Veranstaltungen, Workshops, Symposien wie Ausstellungen und künstlerischen Projekte, die das Team von Stadtkuratorin Hamburg von 2014 bis 2016 organisiert hat, gibt es Momente, die sich im Nachhinein als dekoloniale Interventionen in das soziale Gefüge Hamburgs erinnern lassen? 

SG: Mit der bereits erwähnten Silent University (TSU) wurde ein künstlerischer Vorschlag unterbreitet im Sinne von neueren „Artists Organisations“, d. h. künstlerische instituierende Praxen, die sich als alternativ zu gängigen Bildungspraxen oder Politikformen verstehen. Die TSU Hamburg agiert heute selbstorganisiert weiter. Abimbola Odubegsan und Salah Zater entwickeln das Modell und das Programm weiter auch zusammen mit Dock Europe e.V.. Anfänglich gar nicht unterstützt, später durch den Hamburger Elbkulturfonds gefördert, feiert TSU bereits sein viertes instituierendes Jahr. Gerade in Gesprächen mit der Kulturbehörde Hamburg und anderen Partnerinnen zeigte sich, wie langsam Strukturen sich verändern. Das waren schöne, schwierige und wichtige Interventionen, die vielleicht einen Ausblick geben, das Dekolonialisieren (decolonize) mehr ist als ein globales Fashion-Label für Kunst und Kultur. Es ist vielmehr ein fortzuführender Auftrag in einer Mehrheitsgesellschaft, die mitunter die vor-ihr-stehende Geschichte entweder nicht zu sehen vermag oder nicht sehen will (?).   

TM: Welches Potenzial hat der öffentliche Raum für ein „dekolonialisierendes“ Verständnis von Kunst? 

SG: Ich denke, der sogenannte öffentliche Raum (public sphere) im Globalen Norden ist der Ausgangsort für jedwede Diskussion. Er erweist sich als Gradmesser eines (un-)möglichen Demokratieverständnisses: Alltagspraxen und -taktiken kommen hier zusammen und müssen verhandelt werden und einander aushalten. Kunst mit ihrem Eigensinn mag da eine Bresche schlagen in Vereinnahmung, Verkrustung und Verhärtung. Inwieweit daraus ein dekolonialisierendes Verständnis von Kunst folgt, bleibt zu beweisen.

Weitere Quellen:

The Silent University (TSU): https://thesilentuniversity.org/

Stadtkuratorin Hamburg: http://stadtkuratorin-hamburg.de/

Stadtgespräch. Metropolitane Perspektiven #3_De/Koloniales Hamburg. Ein Gespräch zwischen Prof. Dr. Jürgen Zimmerer und Dr. Tania Mancheno, am 14. Januar 2015. Zugreifbar: http://archiv.stadtkuratorin-hamburg.de/documentations/stadtgespraech_3/


Es handelt sich um das Modelprojekt, welches sich parallel zum Initiativprojekt Stadtkuratorin Hamburg entfaltete und auch parallel zum Programm des zweiten Stadtkurators Dirck Möllmann umgesetzt wurde.

Anlässlich der Initiation von Stadtkuratorin Hamburg wurde 2013 der Verein Curating the City gegründet, auch um den Aspekt des Kuratorischen im öffentlichen Raum einen Diskurs zu geben, der oft übersehen wird zugunsten eines verallgemeinerten gesellschaftlichen Arguments der Öffentlichkeit/der Öffentlichkeiten.

Das Gutachten kann hier gelesen werden: https://www.hamburg.de/contentblob/8718414/792d82396c28df2ce1870322f995d06f/data/konzept-urbane-kunst.pdf