In den 1880er Jahren war, wie schon 100 Jahre zuvor, die Bekämpfung des Sklavenhandels wieder einmal wichtiges Thema in den europäischen Salons, Gesellschaften und schließlich der Politik. Doch was sich um 1780 noch gegen die eigene Beteiligung richtete, wurde Ende des 19. Jahrhunderts den ‚Anderen‘ zum Vorwurf gemacht: Die Bekämpfung der Sklaverei richtete sich gegen lokale Formen in Afrika und rund um den indischen Ozean. Verbesserungen in den Arbeits- und Lebensbedingungen dieser unfreien Bevölkerungsgruppen war (und ist teils bis heute) ein absolut berechtigtes Anliegen, doch die Motive der Beteiligten können in vielen Fällen als zweifelhaft beschrieben werden.

Ein Blick zurück auf die Vorgeschichte: Während die europäischen Kolonialmächte an der westafrikanischen Küste seit dem 16. Jahrhundert den transatlantischen Versklavungshandel betrieben, spielte die ostafrikanische Küste zumindest nördlich des heutigen Mozambique in diesem Zusammenhang keine größere Rolle. Parallel gab es an der Ostküste Afrikas und im Indischen Ozean ein ebenfalls bedeutendes System der Sklaverei, das vor allem arabisch geprägt war. Zugleich führten Konflikte zwischen und unter den drei Partien – afrikanischen, europäischen und arabischen Staaten – immer wieder zu Kriegen in der Region, ohne, dass sich die europäischen Mächte eindeutig durchsetzen. Erst um 1850 intensivierte sich ihre Präsenz an der afrikanischen Ostküste. Insbesondere die vorgelagerte Insel Sansibar wurde unter der Herrschaft omanischer Sultane wichtiger überregionaler Knotenpunkt für den Handel.

Die an der Westküste mittlerweile dem Abolitionismus verpflichteten europäischen Kolonialmächte bekämpften allerdings zu Beginn ihrer verstärkten Einflussnahme in Ostafrika nicht direkt die Sklaverei. Ganz im Gegenteil: Diverse Kaufleute profitierten von ihr oder arbeiteten mit lokalen Versklavungshändlern zusammen. Zwar verboten die europäischen Staaten ihrer Bevölkerung den ‚Besitz‘ von versklavten Menschen, doch in der Praxis setzte sich stattdessen die Miete durch: Wer Personal für Verladearbeiten in den Häfen oder Feldarbeit auf den Plantagen benötigte, bezahlte lokale Eliten – und die setzten dann wiederum ihre versklavten Arbeitskräfte ein.

Auch Hamburger Unternehmen beteiligten sich nachweislich an diesem System. Für sie war Sansibar ursprünglich für den Kaurihandel interessant: Muscheln, die im westlichen Afrika als Währung genutzt wurden und in den Anrainerstaaten des indischen Ozeans günstig zu erwerben waren. Die aus Hamburg stammenden Firmen Hertz und O’Swald gehörten hier zu den bedeutendsten Häusern. Doch als dieses Geschäft übersättigt war, verlegten sich die Unternehmen auf andere Güter, unter anderem den Produkten von Nelkenplantagen auf Sansibar. Über die Firma O’Swald schrieb der Historiker Karl Evers schon 1986, ohne, dass es in der Geschichtsschreibung zu Hamburg und dem Kolonialhandel größeren Widerhall gefunden hätte: „Sklavenarbeit bildete die Basis des gesamten O’Swaldschen Handelsbetriebes auf Zansibar.“[1] Und zitiert O‘Swald, der 1867 schreibt: „‘Es herrscht großer Mangel an Sklaven, augenblicklich ist kein Kuli zu haben und kommen wir deshalb mit dem Löschen und Laden der Schiffe nicht voran.‘“[2]

Plan von Sansibar Stadt [mit O'Swald-Niederlassung an der Küste im Nordwesten], in: Oscar Baumann, Die Insel Sansibar und ihre kleineren Nachbarinseln, Leipzig 1897. Digitalisatz der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Public Domain Mark 1.0 Universal
Plan von Sansibar Stadt [mit O’Swald-Niederlassung an der Küste im Nordwesten], in: Oscar Baumann, Die Insel Sansibar und ihre kleineren Nachbarinseln, Leipzig 1897. Digitalisatz der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Public Domain Mark 1.0 Universal

Wenn auch hier als wohl als Sammelbegriff für anzumietende Arbeitskräfte zu verstehen, verbindet der Begriff ‚Kuli‘ das östliche Afrika mit den asiatischen (Zwangs-)Arbeitenden. Nach der deutschen Kolonisierung des Festlandes in den 1880er Jahren fand diese Verbindung eine praktische Umsetzung: Schon 1892 wurden etwa knapp 500 Menschen aus China und Indonesien nach Deutsch-Ostafrika gebracht. Sie erhielten Verträge, um für die Deutsch-Ostafrikanische Plantagengesellschaft (DOPAG) zu arbeiten, die von der lokalen Bevölkerung wegen der miserablen Arbeitsbedingungen gemieden wurden. Zugleich fand sich auch hier das aus Sansibar bekannte Prinzip, dass die Plantagenaufseher der Gesellschaft versklavte Menschen anmieteten oder andere aus der Umgebung mit Gewalt zur Arbeit zwangen.[3] Die Verantwortlichen der jungen Kolonie versuchten also auch auf diesen Wegen, die wirtschaftliche Ausbeutung des Landes zu intensivieren.

Besonders auffällig ist dabei, dass die deutsche Praxis zur Arbeitskräfterekrutierung in einem starken Gegensatz zur politischen Selbstdarstellung stand. Als eine zentrale koloniale Mission in Ostafrika, aber auch den übrigen Kolonien, galt gerade die Beendigung der Sklaverei – eben nur die von lokalen Größen betriebene, die deutschen Interessen zuwiderlief. Schon Großbritannien, das Sansibar ab 1890 als Protektorat praktisch kontrollierte, hatte zuvor das Thema über Jahrzehnte als Druckmittel gegenüber den Herrschern der Insel, Said ibn Sultan und seinen Nachfolgern, genutzt. Die deutsche Reichsregierung setzte das Argumentationsmuster auf dem Festland weiter ein, weil es liberale und christliche Kreise für das koloniale Projekt begeistern konnte. Im Extremfall diente die vermeintliche Bekämpfung der Sklaverei sogar zur Rechtfertigung eines Krieges, etwa im Fall des sogenannten Araberaufstandes 1888–90. Unter der Behauptung, der Widerstand der Küstenbevölkerung gegen die Kolonisierung diene nur deren Interesse, den Sklavenhandel fortzusetzen, warb die Reichsregierung erfolgreich im Reichstag um Unterstützung. Diese war nötig, weil die bisher mit der Kolonisierung betraute Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG) an der Unterwerfung der widerständigen Bevölkerung scheiterte.[4]

Nachdem in der Berliner Afrika-Konferenz 1884/85 schon ein Verbot des Sklavenhandels auf dem Programm stand, fand in Brüssel 1889/90 eine große Antisklavereikonferenz statt. Dort vereinbarten die europäischen Mächte eine Abschaffung der Sklaverei in ganz Afrika. Auch diese Beschlüsse war von kolonialen Interessen mindestens genauso wie von humanistischen geprägt, und trotzdem – oder deswegen – unterlief das Deutsche Reich sie: Sowohl für Kamerun als auch für Ostafrika ist ein ausgeprägter Opportunismus belegt, Sklaverei wurde bis zum Ende der deutschen Kolonialzeit in der Regel nur dann bekämpft, wenn es den deutschen Interessen entsprach.[5]

Mit der Etablierung eines formellen deutschen Kolonialreichs einher ging, wie an den Beispielen ersichtlich, die Verschiebung der Verantwortlichkeiten von einzelnen Kaufleuten zu politischen Institutionen und größeren Gesellschaften. Damit wird es schwieriger, eine konkrete Hamburger Rolle in Sklaverei und anderen Formen unfreier Arbeit zu definieren. Doch die Entwicklung auf dem Gebiet des heutigen Tansania in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist ein frappierendes Beispiel für die Diskrepanz zwischen dem abolitionistischen europäischen Selbstverständnis und der weit entfernten Realität. Hamburger Kaufleute bauten ihre Präsenz in der Region auf der Arbeit versklavter Menschen auf, deutsche Plantagengesellschaften setzten diese Ausbeutung nach der Kolonialreichsgründung fort und die Kolonialverwaltung duldete lokale Formen der Sklaverei – während gleichzeitig die Reichsregierung bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein Ende der Unfreiheit als Teil der ‚Zivilisierungsmission‘ forderte, mit der sie die koloniale Unterwerfung rechtfertigte. Dieser innere Widerspruch ist auch für Hamburgs Umgang mit Sklaverei im 19. Jahrhundert typisch: die Stadt stritt nach außen hin jegliche Verstrickungen in Formen der unfreien Arbeit ab, profitierte real jedoch immens.


[1] Evers, Karl, Das Hamburger Zanzibarhandelshaus Wm. O’Swald & Co, 1847 – 1890. Zur Geschichte des Hamburger Handels mit Ostafrika, Hamburg 1986, S. 206. Siehe dazu auch Brahm, Felix, Handel und Sklaverei am „Tor zu Ostafrika“. Hamburger Kaufleute auf Sansibar 1844–1890, in: Hamburg – Sansibar, Sansibar – Hamburg. Hamburgs Verbindungen zu Ostafrika seit Mitte des 19. Jahrhunderts, hrsg. v. Rita Bake / Sauda A. Barwani, Hamburg 2009, S. 44–67.

[2] Zitiert nach Evers, Zanzibarhandelshaus, S. 212.

[3] Haschemi Yekani, Minu, Koloniale Arbeit. Rassismus, Migration und Herrschaft in Tansania (1885–1914), Frankfurt a. M. 2019, S. 41–54.

[4] Haustein, Jörg, Strategic Tangles: Slavery, Colonial Policy, and Religion in German East Africa, 1885–1918, in: Atlantic Studies 14 (2017), S. 497–518, hier 500f.

[5] Harding, Leonhard, Die deutsche Diskussion um die Abschaffung der Sklaverei in Kamerun, in: Studien zur Geschichte des deutschen Kolonialismus in Afrika. Festschrift zum 60. Geburtstag von Peter Sebald, hrsg. v. Peter Heine / Ulrich van der Heyden, Pfaffenweiler 1995, S. 280–308, hier S. 280–282; Deutsch, Jan-Georg, The ‚Freeing‘ of Slaves in German East Africa: The Statistical Record, 1890–1914, in: Slavery and Colonial Rule in Africa, hrsg. v. Suzanne Miers / Martin A. Klein, Ilford 1998, S. 109–132, hier S. 127f. Zur Antisklavereikonferenz in Brüssel: Mulligan, William, The Anti-slave Trade Campaign in Europe, 1888–90, in: A Global History of Anti-slavery Politics in the Nineteenth Century, hrsg. v. William Mulligan / Maurice Bric, London 2013, S. 149–170.