Jürgen Zimmerer
© Sebastian Engels

Dieser Text erschien als Vorwort des Buches „Bernhard Nocht. Der Organisator der deutschen Kolonialmedizin. Eine Biografie“ (Wallstein Verlag 2025) von Markus Hedrich. Wir dokumentieren den Text als Beitrag zur Debatte über die Umbenennung des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin.

Von Jürgen Zimmerer

Das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin gehört zu den herausragenden wissenschaftlichen Einrichtungen Hamburgs. Es ist Teil der renommierten Leibniz-Gemeinschaft und weit über die Stadtgrenzen hinaus – bundesweit und international – bekannt. Von Beginn seiner 125-jährigen Geschichte an verbindet es wissenschaftliche Grundlagenforschung mit angewandter medizinischer Versorgung. Es ist dabei in seiner Entstehung und Geschichte aufs Engste mit dem Hamburger Hafen verknüpft und dadurch auch mit der Globalisierung, der kolonialen wie der postkolonialen.

Die kolonialen Wurzeln des Instituts: Das Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten in der kolonialen Globalisierung

Wie so viele andere wissenschaftliche Einrichtungen in der Hansestadt ist seine Entstehung nicht ohne die Geschichte des Kolonialismus zu verstehen. Dies verbindet das Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten, wie es nach seiner Gründung im Jahre 1900 zunächst hieß, etwa mit der Universität Hamburg, die 1919 unter anderem aus dem 1908 eröffneten Hamburgischen Kolonialinstitut hervorging. Es waren die Erfordernisse des Hafens und der Schifffahrt, die zu deren Institutionalisierung in der Hansestadt beitrugen.

Schließlich war die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auch eine Zeit der Beschleunigung, des rasanten technischen Fortschrittes, bahnbrechender Erkenntnisse in Naturwissenschaft und Medizin. Kommunikation und Verkehr erfuhren eine bis dahin ungeahnte Verdichtung. Wasserstraßen, vor allem die Ozeane, waren die Hauptadern, Häfen die Knotenpunkte dieses Weltverkehrs und blieben es bis zur Verbreitung des Flugzeugs ab Mitte des 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig war die Welt im Wesentlichen eine koloniale: Man handelte mit anderen Kolonialmächten, Kolonien oder vor Kurzem unabhängig gewordenen Staaten in Süd- wie Nordamerika. Man kaufte und verkaufte Kolonialwaren, man transportierte Güter und Menschen. Es war auch die Zeit der großen Auswandererwellen aus dem „alten“ Europa in die „neue Welt“, und Hamburg war eines der zentralen Sprungbretter, wovon etwa die Ballinstadt bis heute zeugt.

Es war das Zeitalter des Hochimperialismus, in dem europäische Mächte und ihr siedlerkolonialer Ableger, die erstarkenden Vereinigten Staaten von Amerika, um Einfluss und Territorien rangen zur Sicherung von Absatzmärkten und Rohstoffen, aber auch von Militärbasen und Siedlungsgebieten. Je dichter die Kommunikation und der Austausch wurden, desto stärker wurden die Versuche zur formalen Aufteilung der Welt forciert. Letztere waren auch Ausdruck einer biopolitischen Vorstellung von Nation, in der die Stärke eines „Volkes“ an der Anzahl seiner „gesunden“ Angehörigen gemessen wurde. In Deutschland entwickelte sich daraus die Forderung nach eigenen Siedlungsgebieten „in Übersee“, um Auswanderer nicht an die USA, südamerikanische Staaten oder auch das britische Empire zu „verlieren“.

Mit der 1871 nach dem Sieg über Frankreich erfolgten Gründung des Deutsche Kaiserreichs unter preußischer Führung wurde Deutschland eine international handlungsfähige Großmacht. Die anfänglich vorhandene außenpolitische Rücksichtnahme gab es sukzessive auf und wurde 1884 zur Kolonialmacht mit Besitzungen in Afrika (Togo, Kamerun, Namibia, Tansania, Ruanda und Burundi), im Pazifik (u. a. Samoa und Neu-Guinea) und ab 1897 auch in China (Qingdao als Pachtgebiet). Mit der Thronbesteigung Kaiser Wilhelms II. 1888 und der Abdankung Bismarcks begann Deutschland zunehmend aggressiv, einen „Platz an der Sonne“ (v. Bülow) für sich zu reklamieren, „Weltpolitik“ zu betreiben. Wirtschaftliche, technische und wissenschaftliche Entwicklung, aber auch Imperialismus und Militarismus prägten und unterfütterten diesen Anspruch auf eine Weltmachtrolle. Die Armee und vor allem die Marine waren deren Instrumente, Kolonien das Symbol.

Im Ersten Weltkrieg kollidierten diese Ansprüche mit denen der anderen europäischen Mächte, der USA und Japans, und nach vier Jahren eines verheerenden Krieges wurde nicht nur die Republik ausgerufen, das Deutsche Reich musste auch auf Gebiete in Europa und auf seine Kolonien verzichten, enorme Reparationsforderungen akzeptieren und sein Militär beschränken. Der Weimarer Republik gelang es bekanntlich nicht, diese Hypothek abzuschütteln, und sie zerbrach letztendlich am Mangel an Demokrat*innen, am antidemokratischen Widerstand der alten monarchistischen Eliten, den kommunistischen Revolutionär*innen und den nationalsozialistischen Rassist*innen. Das „Dritte Reich“ radikalisierte viele der Wesenszüge des Kaiserreichs noch einmal, vom Antisemitismus und Rassismus über den Militarismus bis zum Imperialismus. Der Holocaust und der Vernichtungskrieg im Osten bleiben als bis heute nachwirkende Schandmale.

Bernhard Nocht: Eine symptomatische Biographie im Spannungsfeld von Nationalismus, Militarismus und Kolonialismus

Bernhard Nochts Biografie ist in vielen Punkten symptomatisch für diese Geschichte, sein Leben umspannt sie vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zum Ende des „Dritten Reiches“. Geboren 1857 im preußischen Landeshut, 14 Jahre vor der Reichsgründung, beging er im Juni 1945 in Wiesbaden Suizid, wenige Wochen nach Ende des Zweiten Weltkrieges.

Ein deutsches Leben und als solches durchaus typisch für die Eliten zwischen Kaiserreich, Republik und Führerstaat. Bemerkenswert ist jedoch seine Rolle als Namensgeber des bereits genannten Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheiten; eine Benennung, die sich unmittelbar dem nationalsozialistischen Regime verdankt. Letzteres sah Bernhard Nocht offenbar in seiner Lebensleistung nicht nur als kompatibel mit den eigenen Zielen, sondern als vorbildhaft an. Eigentlich sollte das Grund genug sein, eine Streichung seines Namens zu veranlassen. Da dies offenbar nicht ausreicht, ist ein genauerer Blick auf die Biografie Nochts erforderlich. Dies ist nun auch allen Interessierten möglich, da mit der hier präsentierten Studie von Markus Hedrich zum ersten Mal eine wissenschaftlich fundierte Biografie vorliegt. Und deren Lektüre lohnt!

Wie Hedrich zeigt, ist Nochts Leben nicht nur wegen der kalendarischen Übereinstimmung symptomatisch. Seine Biografie ist auch exemplarisch für die Verbindung von Militär, Kolonialismus, Rassismus, Monarchismus, Wissenschaft und moderner, effektiver Verwaltung, die für die weitere deutsche Geschichte so verhängnisvoll werden sollte.

Nochts Karriere begann als Arzt im Militär, genauer in der Marine, und er blieb dieser zeitlebens treu. Als junger Schiffsarzt fuhr er auf dem Kanonenboot Iltis im Pazifik und war an der kolonialen Inbesitznahme der „deutschen Südsee“ unmittelbar beteiligt und damit wohl auch an Massakern, die dabei verübt wurden. Später war er sowohl als Hamburger Hafenarzt als auch als Gründungsdirektor des Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheiten tagtäglich mit den Folgen der kolonialen Globalisierung konfrontiert. Durch die Schiffe kamen nicht nur Waren und Menschen, sondern auch Parasiten und Krankheiten. Medizinische Vorsorge war notwendig, sowohl in der Behandlung von Erkrankten als auch bei der Desinfektion von Schiffen.

Nocht nutzte gezielt die Interessen und Erfordernisse eines Kolonialreiches wie auch die koloniale Begeisterung im Reich, um das Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten nach Hamburg zu bringen und sich zu dessen Direktor zu machen. Beides setzte er gegen den Willen seines einstigen Mentors Robert Koch durch, des führenden deutschen Kolonialmediziners. Durch den Hinweis auf die enge Verbindung von Tropenmedizin und kolonialem Welthandel konnte er, in enger Kungelei mit dem Reeder Adolph Woermann, den Standort Hamburg gegen den von Robert Koch favorisierten Standort Berlin durchsetzen. Adolph Woermann hatte schon eine zentrale Rolle dabei gespielt, Bismarck im Sommer 1883 für die Gründung eines formalen deutschen Kolonialreichs zu gewinnen.

Nocht war von der Notwendigkeit eines kolonialen Engagements überzeugt und wirkte selbst an dessen Ausgestaltung mit, durch seine medizinischen Tätigkeiten, aber auch durch Propaganda und Expertise. Zu den problematischsten Aspekten seines Handelns gehören seine rassistischen Empfehlungen für eine Segregation der afrikanischen und der europäischen Bevölkerung etwa in Daressalam aus „hygienischen“ Gründen. Schon unter seinen ersten Ratschlägen zur Bekämpfung der verheerenden Hamburger Choleraepidemie 1892 fanden sich rassistische Vorstellungen, hielt er doch Seeleute bestimmter Herkunft für „besonders zu Erkrankungen an Cholera geneigt“, weshalb sie keinen Landurlaub erhalten sollten. Auch seine Betrachtung der gesundheitlichen und hygienischen Situation der Auswander*innen war nicht frei von rassistischen bzw. antisemitischen Vorstellungen, insbesondere armer Ostjuden und Ostjüdinnen. Hedrich spricht hier zu Recht von „rassistischer Praxis mit infektionsmedizinischer Legitimation“. Gerade angesichts der unheilvollen Entwicklung, die der medizinische Diskurs in seiner Verschmelzung mit dem antisemitischen nehmen sollte, erweist sich Nocht hier als Kind seiner Zeit, und das ist keine Entlastung. 1914 richtete er im Neubau des Tropeninstituts rassistisch segregierte Krankensäle ein.

Gezielt baute Nocht sein Institut zu „einer der wesentlichen kolonialmedizinischen Relaisstellen des Kaiserreichs“ (Hedrich) aus und beförderte zugleich seine eigene Karriere in der internationalen medizinischen Szene, aber auch in Hamburg, wo er 1906 zum Medizinalrat, also zum Leiter des gesamten Gesundheitswesens, ernannt wurde. Immer wieder verzahnte er dabei die Tropenmedizin und das Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten mit der Deutschen Kolonialgesellschaft.

Nocht als Kolonialrevisionist

Kolonialismus war Nochts Grundüberzeugung, und dieser blieb er auch nach dem Verlust des deutschen Kolonialreichs im Frieden von Versailles treu. Sein Eintreten für den Kolonialrevisionismus in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“ belegt dies. Hedrich sieht in der „Entwertung seines kolonialmedizinischen Lebenswerkes durch die alliierte Behauptung der deutschen Kolonialunfähigkeit … die intellektuelle Anschlussstelle Nochts an den Weimarer Kolonialrevisionismus“. Der koloniale Karrierist hatte sein Zugpferd verloren. Diesen Kolonialrevisionismus gab er deshalb bis an sein Lebensende nicht auf. Nocht wurde so zu einer der wichtigsten Stimmen der deutschen „Kolonialfähigkeit“ (Hedrich), die sich gegen den Vorwurf im Frieden von Versailles richtete, die Deutschen seien zur Ausübung des Kolonialismus unfähig.

Seine Kritik am Versailler Frieden formulierte er auch als Rektor der Universität Hamburg, zu dem er 1926 ernannt wurde, ebenso wie seine monarchistischen und kolonialrevisionistischen Positionen. Schon emeritiert beteiligte er sich am 1940 mit großem Pomp begangenen 40. Jahrestag des Instituts und nutzte dies, um die Rückgewinnung der Kolonien in Afrika zu fordern. Nocht selbst war wohl kein glühender Nationalsozialist, doch Widerstand leistete er keineswegs, auch in dieser Hinsicht ist er durchaus symptomatisch für die alten Eliten des Kaiserreichs.

Nocht und der Nationalsozialismus

Das nationalsozialistische Regime vereinnahmte Nocht und Nocht ließ sich willig vereinnahmen. Zu seinem 85. Geburtstag 1942 verfügte der Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann die Umbenennung des Instituts in „Bernhard-Nocht-Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten“ und dieser Zusatz ist bis heute geblieben. Damit ehrte man damals, und ehrt man heute, den Tropen- und Kolonialmediziner, den Netzwerker und Organisator der Kolonialmedizin. Zeitgemäß scheint dies heute nicht mehr, weniger wegen individueller Schuld, sondern weil damit die Mitwirkung an einem systematischen rassistischen Unrechtssystem, welches Kolonialismus nun einmal war, und das Profitieren davon, gefeiert wird.

Bernhard Nocht mordete nicht selbst, wie manche seiner Kollegen etwa in den Krankenmorden, er experimentierte nicht selbst in den Konzentrationslagern wie ein Josef Mengele, er führte keine tödlichen Experimente in den Kolonien durch wie ein Robert Koch. Und – das kann man nicht genug betonen – er war offenbar kein fanatischer Antisemit, seiner Frau, nach nationalsozialistischen Kriterien ein „jüdischer Mischling 2. Grades“, blieb er treu. Dennoch: Das Mindestmaß an menschlichem Anstand gezeigt zu haben, sollte noch nicht ausreichen, um als Vorbild heutiger Generationen von Mediziner*innen und Wissenschaftler*innen zu dienen. Die Namensgebung beizubehalten, bedeutet, ihn weiterhin als Vorbild zu präsentieren. Nicht zum Verbrecher geworden zu sein, nach den Jugendjahren in der Marine am Schreibtisch geblieben zu sein, hebt nicht die Rolle auf, die Nocht im Militarismus, Imperialismus, Monarchismus, Kolonialrevisionismus und auch im medizinischen Rassismus spielte. Er leistete dem Nationalsozialismus nicht nur keinen Widerstand, sondern ließ sich sogar für dessen Ideen vereinnahmen, die zumindest zum Teil offenbar auch seine eigenen waren.

Erinnerung und Verantwortung: Zur Notwendigkeit der Umbenennung des Instituts für Tropenmedizin

Schon die Tatsache, dass die Benennung des Instituts für Tropenmedizin nach ihm 1942 erfolgte, ist als Beleg dafür zu verstehen, dass die Machthaber in ihm keinen Dissidenten, keinen Gegner sahen. Die Zeit und die Umstände dieser Benennung sollten ein starkes Argument dafür sein, den Namen nun abzulegen. Es sei denn, man will auch die identitätspolitischen Entscheidungen des nationalsozialistischen Regimes mit rehabilitieren. Ist eine Debatte über eine Namensänderung entbrannt, kommt die Entscheidung für die Beibehaltung einer Neubenennung gleich: Wer die Einwände der Kritiker*innen, wie sie auch hier vorgebracht werden, vom Tisch wischt, der betont den Vorbildcharakter des Namensgebers. Kann aber ein kolonialer Karrierist und Monarchist, der zeitlebens Revisionist blieb, im 21. Jahrhundert wirklich Vorbild sein? Das ist eine Frage, die man sich in Hamburg stellen muss, aber auch bei der Leibniz-Gesellschaft. Wer heute das Institut nicht mehr nach Bernhard Nocht benennen würde, kann auch nicht guten Gewissens gegen eine Umbenennung sein.

Markus Hedrichs überzeugende Studie liefert das Material, um sich von Bernhard Nocht selbst ein Bild zu machen. Sie erfüllt damit vorbildlich die Rolle, die die Wissenschaft, insbesondere die Geschichtswissenschaft, für die gesellschaftlichen Diskurse unserer Zeit spielen kann. In einer Zeit, in der viele glauben, sich ihre Fakten selbst erschaffen zu können, ist Expertenwissen erst recht notwendig. Die Möglichkeit, solches in diesem Falle bereitzustellen, verdankt sich neben der jahrelangen, hartnäckigen Recherche von Markus Hedrich auch der Stadt Hamburg und ihrer Universität, die mit der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ den Rahmen dafür schufen, derartige Forschungen anstoßen, begleiten und auch deren Präsentation fördern zu können.