Von Nashilongweshipwe Mushaandja – Zum Beitrag auf der englischen Seite

Ich brauchte eine Weile, um diesen reflexiven Essay zusammenzustellen. Der Grund ist, dass es mir schwerfiel, die Worte zu finden, wie ich Ovizire/Somgu: From Where Do We Speak? bewerten soll als eine Intervention in Public History, die sowohl notwendig als auch komplex in ihrer Umsetzung ist. Daher brauchte ich Zeit, um einen sinnvollen reflexiven Essay vollständig auszuarbeiten und zu schreiben. Ich glaube, diese Verzögerung hatte auch eine Menge damit zu tun, dass 2020 ein schwieriges Jahr war. Es war ein Jahr sowohl eines schweren Verlusts als auch eines Erwachens. Folglich die Änderung bei  Ovizire/Somgu: From Where Do We Speak?. Von einer Ausstellung in konventionellen und starren Örtlichkeiten (Universitäten und Museen) zu einer vielgestaltigen und regionalen Intervention, die ihr radikales Potential und ihren kritischen Nutzen als eine Idee und ein Konzept eines postkolonialen Namibia offenbarte.

Ovizire/Somgu: From Where Do We Speak? ist ein transhistorisches und multidisziplinäres Projekt, organisiert und angeleitet von jungen namibischen Künstler*innen und Kulturschaffenden. Das Projekt begann 2018 als stationäres Vorhaben von namibischen und deutschen Künstler*innen, Kurator*innen und Historiker*innen, die über ein koloniales Fotoarchiv im Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt in Deutschland arbeiten. Dieses stationäre Projekt war eine Initiative der Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe an der Universität Hamburg. Das Ergebnis dieses einjährigen stationären Projekts war eine Ausstellung, die schließlich 2019 nach Namibia ging und in der National Art Gallery von Namibia gezeigt wurde.

Um dem Projekt Nachhaltigkeit und Kontinuität zu geben, wurde es zu einem Workshopformat umgewandelt, das das Ziel verfolgt, Wissen über afrikanische Zukunftsperspektiven, koloniale- und Genozidgeschichte mittels künstlerischer Formen zu vermitteln. Wir begannen mit einem Prozess des Anleiter*innentrainings mit Künstler*innen als Anleitende, die schließlich regionsspezifische Workshops angewandter Kunst entwickelten. Diese Workshops richteten sich an arbeitslose Jugendliche, Künstler*innen, Kulturschaffende, Student*innen der Sozial- und Geschichtswissenschaften und Aktivist*innen in den Regionen Omaheke, //Kharas und Otjozondjupa. Das Anleiter*innentraining stützt sich auf Paulo Freires demokratisch-partizipative Pädagogik, dialogzentrierte Aktion und kritisches Bewusstsein. Methodisch stützen wir uns auf den Ansatz der angewandten Kunst. Das bedeutet eine Praxis anzuwenden, die ihre Wurzeln in den Prinzipien der kritischen Pädagogik von Tätigkeit, darstellendem Lernen, Vielstimmigkeit und Selbstbestimmtheit hat. Meiner Ansicht nach ist dies ein interessanter und ertragreicher Ansatz für historisches Arbeiten, wie ich es bisher noch nie erfahren habe. Der Fokus lag auf der transhistorischen Arbeit, was eine Interpretation pluraler historischer Sichtweisen und Formen der Historisierung nahelegt. Während des Trainings wurden Fragen der progressiven Fürsorge und, wie man Fürsorgearbeit ausübt, vor dem Hintergrund traumatischer historischer Erfahrungen erörtert. Die Workshops wurden in den drei Regionen erfolgreich durchgeführt. Die Künstler*innen-Anleiter*innen machten Gebrauch von einer Reihe von Methoden wie Malerei, Entwerfen, Leseübungen, Performance, Geschichten erzählen, Schreiben und Collagen anfertigen, um kritisches Engagement zu fördern. Wegen der Corona-Pandemie wurden die Workshops sowohl im Präsenz- als auch digitalen Modus durchgeführt. Künstlerische Arbeiten und solche mit Material, die in diesem Workshop-Prozess hergestellt wurden, wurden benutzt, um sie bestehenden Kunstwerken und Fotografien aus der Ausstellung Ovizire/Somgu: From Where Do We Speak? (2020) hinzuzufügen, die im Frans Nambinga Art Training Center in Havana, Windhoek, gezeigt wurden.

Reflektionen:

  • Einer der fruchtbarsten Aspekte dieses Projekts war die Erstellung eines Archivs in Form einer Projektwebseite https://fromwheredowespeak.com (einschließlich einer digitalen Ausstellung). Dies bleibt ein bedeutender Raum, der als Fundus für eine Reihe von Online-Materialien fungiert, der für eine größere Öffentlichkeit leicht zugänglich ist. Dieser Raum bietet gleichfalls eine Möglichkeit für die Erweiterung und Weiterentwicklung einer bahnbrechenden zeitgenössischen intervenierenden transhistorischen und angewandte Kunst einschließenden Anwendung in Namibia.
  • Es besteht eine Abwesenheit des intergenerationellen Dialogs in dem Projekt. Zur Wiedervorstellung und Zukunft des Projekts sollte der intergenerationelle Wert der Arbeit beachtet werden. Angesichts der Tatsache, dass es heute in Namibia einen starken Mangel an die Generationen übergreifendem Engagement gibt, hat dieses Projekt gleichwohl das Potential, diese Art von gemeinsamem Engagement von Jugendlichen und älteren Leuten zu ermöglichen. Dies ist die nächste Herausforderung, der diese von jüngeren Leuten geleitete Organisation entgegensieht.
  • Nachhaltigkeit ist ein anderes großes Thema für das Projekt. Wie wird Ovizire/Somgu: From Where Do We Speak? seine Nachhaltigkeit als ein Projekt aufrechterhalten, das Betreuung sowie kulturelle und historische Arbeit ermöglicht? Das ist ein einzigartiger und starker Rahmen für einen Kontext von namibischer Kunst, Kultur und seines historischen Erbes. Auf welche Weise bleiben wir als Künstler*innen-Anleiter*innen, Kulturschaffende und Projektpartner*innen verantwortlich für afrikanische Zukunftsperspektiven? Was sind unsere dekolonisierenden Verantwortlichkeiten? Können wir uns die Art von Arbeitsheften, Lehrbüchern und anderem Lehrmaterial vorstellen, die entwickelt werden könnten als ein Weg, um diese Arbeit nachhaltig zu machen?
  • Was ist die Ethik von Solidarität?

Ich schätze diese Gelegenheit, gemeinsam zu lernen. Ich freue mich auch darauf, diesen reflexiven Essay zu verteidigen.

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Foto: FWDWS?

Nashilongweshipwe Mushaandja

Foto: FWDWS?

Nashilongweshipwe Mushaandja ist Performer, Pädagoge und Schriftsteller mit praktischer Erfahrung und Forschungsinteresse an der Rolle von Körper und Raum als Archive bei der Formierung von Bewegungen. Mushaandja ist gleichfalls ein promovierender Künstler am Zentrum für Theater, Tanz und Studien in Darstellungskünsten an der Universität von Kapstadt und studiert Queere Praxis in Oudano Archives. Seine jüngste Performance „Tanz des Kautschukbaums“ ist eine kritische interdisziplinäre queere Intervention in Museen, Theatern und Archiven in Deutschland, der Schweiz, Südafrika, Kamerun und Namibia. Er ist ebenfalls zeitweise an kuratorischen Projekten beteiligt wie der John Muafangejo Season (2016/2017), Operation Odalate Naiteke (2018/2020) und Owela Festival (2019).