Im Zuge der intellektuellen und materiellen Aneignung der Welt im europäischen Kolonialismus brachten die verschiedensten Akteur*innen zahllose Tiere aus der überwiegend kolonialisierten Welt mit. An den europäischen Universitäten und Museen entstanden so umfangreiche zoologische Sammlungen, die die biologische Vielfalt des gesamten Globus dokumentieren. Diese werden immer mehr als wertvolle Ressource für die Erforschung des menschengemachten Klima- und Biodiversitätswandels erkannt. Gleichzeitig beginnt langsam eine Debatte über ihre koloniale Geschichte. Obwohl in diesen Sammlungen die verflochtenen Geschichten von Naturwissenschaft, Umwelt und Kolonialismus besonders greifbar werden, sind sie noch kaum erschlossen und erforscht.

Diesen Geschichten geht Friederike Odenwald in ihrem Promotionsprojekt auf der Grundlage von Provenienz- und Sammlungsforschung nach. Hierfür betrachtet sie die wissenschaftliche Arbeit Wilhelm Michaelsens, eines Hamburger Zoologen, der zwischen 1882 und 1911 drei Forschungsreisen nach Südamerika, Australien und Afrika unternahm. Diese führten ihn in sehr verschiedene koloniale und imperiale Kontexte; zuletzt in die deutsche Kolonie ‚Deutsch-Südwestafrika‘ im heutigen Namibia. Sein Ziel war es, evolutionäre Prozesse zu verstehen, zoologische Belege für die geologischen Beziehungen zwischen den Kontinenten in der Tiefenzeit zu finden und die Hamburger Sammlungen zu vergrößern. Zentrale Leitfragen des Promotionsprojekts sind, wie Michaelsen koloniale Netzwerke und Infrastrukturen nutze, wie die Tiere, die Michaelsen hierbei ‚sammelte‘ zu Objekten der Wissensproduktion über die Natur des Globalen Südens wurden und inwiefern dieses Naturwissen mit kolonialen Diskursen über die Beherrschbarkeit und Gestaltbarkeit der Welt zusammenhingen. Zugleich steht im Fokus, wie kolonisierte und indigene Akteur*innen zu dieser Wissensproduktion beitrugen und wie ihr Wissen sowie alternative Perspektiven auf Natur einflossen oder verdrängt wurden.

Friederike Odenwald studierte Geschichte, Politikwissenschaften und Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main; in ihrem Masterstudium spezialisierte sie sich auf Wissenschaftsgeschichte. Aber auch die deutsche Kolonialgeschichte war dabei eins ihrer Kerninteressen, sei es im Studium oder in ihrem Engagement für die Initiative frankfurt postkolonial. Seit 2022 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Globalgeschichte bei Prof. Dr. Jürgen Zimmerer und lehrt zu Themen der Wissenschafts- und Kolonialgeschichte.