Die Debatte um den Umgang mit Kulturgütern und anderen Objekten aus kolonialen Kontexten in europäischen Sammlungen hat nichts an Aktualität verloren. Schließlich halten, auch nachdem für einige wenige Schlüsselobjekte wie die Benin-Bronzen eine Restitution vereinbart wurde, Museen und andere Einrichtungen weiterhin zahlreiche durch gewaltvolle, koloniale Dynamiken vereinnahmte Gegenstände. Eine unabhängige Provenienzforschung ist daher weiterhin von großer Bedeutung.
Der von Jürgen Zimmerer, Kim Sebastian Todzi und Friederike Odenwald herausgegebene Band Displacing and Displaying the Objects of Others: The Materiality of Identity and Depots of Global History in der Reihe European Colonialism in Global Perspective versammelt Beiträge, die in ihrer methodisch-theoretischen Herangehensweise Impulse für die (post-)koloniale Provenienzforschung geben können. Zugleich bildet die Veröffentlichung des Bandes den Schlusspunkt des Projekts Museumssammlungen im Spannungsfeld der sich etablierenden kolonialen Situation. Die Afrika-Sammlungen des Übersee-Museums Bremen aus den ehemaligen deutschen Kolonien, geleitet von Prof. Dr. Jürgen Zimmerer, durchgeführt in Kooperation mit dem Übersee-Museum Bremen und Direktorin Prof. Dr. Wiebke Ahrndt, gefördert von der Volkswagen-Stiftung.
In der Einleitung Displacing/Displaying the Objects of Others: Towards a Holistic Approach in (Post-)Colonial Provenance Research formulieren Jürgen Zimmerer, Kim Sebastian Todzi und Friederike Odenwald grundsätzliche Überlegungen, wie (post-)koloniale Provenienzforschung in einem umfassenden Sinn erfolgen sollte.
Ndzodo Awono als ehemaliger Mitarbeiter des Kooperationsprojekts hatte seinen Fokus auf die Untersuchung der Kamerun-Sammlung des Überseemuseums gelegt. Dabei zeigt er die Bedeutung von Oral History-Interviews und die Einbeziehung der Ursprungsgesellschaften für Provenienzforschung auf. Neben seinem Beitrag zum Sammelband, The Cameroon Collection in the Übersee-Museum: Constellations of Actors and the Consequences of Collecting, sind wichtige Erkenntnisse auch schon in seiner Online Open Access-Dissertation zu finden, Der deutsche koloniale Raub in Afrika: die Kamerun-Sammlung im Übersee-Museum Bremen im Fokus der Provenienzforschung.
Christian Jarling bearbeitete als Projektmitarbeiter die Namibia-Sammlung und stellte diese in Verbindung mit der Geschichte des Übersee-Museums. Zugleich schildert er die Geschichte deutscher Kontaktleute im kolonialen Namibia. Neben seinem Sammelbandbeitrag Settler Colonialism and Collecting for Museums: The Namibia Collection in Bremen’s Übersee-Museum (1880s to 1970s) ist auch bereits die Dissertation Von Siedlern und Sammlern. Die koloniale Aneignung der ethnografischen Namibia-Sammlung am Übersee-Museum Bremen in der von Jürgen Zimmerer herausgegebenen Reihe: Hamburger Beiträge zur Geschichte der kolonialen Globalisierung erschienen. Mehr zu diesem Buch in Kürze an dieser Stelle!
Isabel Eiser untersucht in ihrem Beitrag Aspekte der medial-diskursiven Dimension in der Debatte um die sogenannten Benin-Bronzen. Der Beitrag Fighting Fictions – Producing ‘Truths’: Tracing the Discursive Struggles Over the ‘Benin Bronzes’ bildet so einen Impuls, die Provenienzforschung über die Objektuntersuchung hinaus zu erweitern. Ihr Promotionsprojekt stammt aus dem ebenfalls unter Leitung von Jürgen Zimmerer durchgeführten Forschungsvorhaben Die ‚Benin-Bronzen‘. Die Globalisierung des kolonialen Kunstraubs, gefördert von der Gerda-Henkel-Stiftung.
Patrick C. Hege übernahm als Post-Doc im Projekt Museumssammlungen im Spannungsfeld der sich etablierenden kolonialen Situation die Untersuchung der Objekte aus dem ehemaligen Deutsch-Ostafrika im Übersee-Museum Bremen. Sein Beitrag im Band, ‘Trophy Colonialism’ and the East African Collections in the Übersee-Museum Bremen, 1882–1939 verbindet die kolonialen Sammlungen mit der deutschen militärischen Gewalt auf dem Gebiet des heutigen Tansania und situiert so die Provenienzforschung in der weiteren Kolonialgeschichte. Auch seine Berliner Dissertation Dividing Dar Race, Space, and Colonial Construction in German Occupied Daressalam, 1850–1920 ist kürzlich erschienen.
Flower Manase, Kuratorin am National Museum of Tansania, schließt den Band mit einem Ausblick aus der musealen Praxis in Tansania ab. Sie verbindet in ‘Terms’ of Trade, and the Acquisition of Cultural Properties. A Reflection from Tanzania on Terminology in European Museums die Akquisitionspraktiken der Kolonialzeit mit gegenwärtigen Restitutionsforderungen und bietet so weiterführende Impulse für die Debatte über den Umgang mit Objekten aus kolonialen Kontexten.
Jürgen Zimmerer, Kim Sebastian Todzi und Friedrike Odenwald (Hrsg.): Displacing and Displaying the Objects of Others: The Materiality of Identity and Depots of Global History. Berlin/Boston, De Gruyter Oldenbourg, 2025.
Zum Band auf der Verlagsseite bei De Gruyter Oldenbourg – frei verfügbar in Online Open Access.