In den Jahren um 1800 wuchs die Ablehnung der Atlantischen Sklaverei: Dänemark, zwischenzeitlich das revolutionäre Frankreich, das unabhängige Haiti und Großbritannien schafften innerhalb weniger Jahre die formelle Unfreiheit oder zumindest den Versklavungshandel ab. In den nächsten Jahrzehnten folgen diverse Staaten beiderseits des Atlantiks, wobei in den USA erst der Bürgerkrieg 1861-65 die Abolition brachte. In Brasilien und auf Kuba dauerte es sogar noch bis in die 1880er Jahre, bis die Institution der Sklaverei endgültig ihr Ende fand. Doch schon zu Beginn des Jahrhunderts war die Tendenz ersichtlich, seit Großbritannien eine komplette Kehrtwende vollzog: Bis 1807 noch das Land, das die meisten Menschen über den Atlantik verschleppte, bekämpfte die Navy anschließend aktiv Versklavungsschiffe – und das, obwohl erst in den 1830er Jahren die Sklaverei in den britischen Kolonien offiziell abgeschafft wurde. Diese Haltung ist weniger paradox als sie erscheinen mag, bezieht man die innerbritischen Konflikte zwischen der Gegenpartei und den Befürwortenden der Abolition wie auch unterschiedliche wirtschaftliche Interessen mit ein. Schiffe im Atlantik zu stationieren, die potentielle Versklavungsschiffe anderer Staaten durchsuchen konnten, bedeutete einen weiteren Kontrollgewinn für die ohnehin schon bedeutendste Seemacht.

Großbritanniens Maßnahmen setzten auch Hamburg unter Druck: In den 1830er Jahren trat es gemeinsam mit den anderen Hansestädten Bremen und Lübeck in einen Britisch-Französischen Vertrag ein, der ausdrücklich den Versklavungshandel verbot. Zugleich konnten Schiffe der anderen Vertragsparteien durchsucht und gegebenenfalls beschlagnahmt werden, wenn der Verdacht des Menschenhandels bestand. Diese Regelungen sorgten unter Reedereien und Kaufleuten für Kritik, obwohl sich Hamburg – keine 30 Jahre nach belegten Versklavungsfahrten – als traditionell Sklaverei-frei darstellte. Denn ohne eigene hanseatische Flotte galt das Vertragswerk als einseitig und als potentielle Gefahr für den wachsenden Atlantikhandel. Waren ‚legitime‘ Fahrten an die Westafrikanische Küste für Hamburger Schiffe um 1800 noch eine Besonderheit, wurde das Fahrtziel zur Jahrhundertmitte ein wichtiger Markt. Dass die britische Konkurrenz von der militärischen Präsenz profitierte, galt als ausgemacht – was angesichts der Kolonisierung eines großen Teiles des Kontinents in den folgenden Jahrzehnten auch nicht von der Hand zu weisen ist.[1]

Zudem behaupteten Hamburger Kaufleute immer wieder, die Durchsuchungen seien unnötig, es gebe keine Beteiligung am Versklavungshandel. Das entspricht für die 1820er bis 1840er Jahre sicher nicht völlig den Tatsachen. Aber die bisher bekannte Beteiligung ist verglichen mit den Jahren um 1800 vergleichsweise gering und schlecht dokumentiert. So etwa im Fall der ‚Geschwinde‘ von 1823/24, wo nur die Aussage eines anderen Hamburger Kapitäns dafür spricht, dass diese eine Versklavungsfahrt von Afrika nach Havanna unternommen hat.[2] Laut der Slaves Voyages Database, dem wichtigsten Portal zum Thema Sklaverei, ist eine Fahrt für 1847 in angolanischen Archivquellen nachgewiesen.[3] Zur ‚Alcyon‘ fehlen aber praktisch alle weiteren Daten, anhand Hamburger Informationen sind zumindest der Name des Kapitäns J. J. Sinn und der Schiffsbesitzer Laué Bödecker zu ergänzen.[4]

Weitere verdächtige Schiffe aus dem Zeitraum sind eher der Beihilfe als direkt dem Menschhandel zuzurechnen: Sie transportierten wohl Güter – Handelswaren und Wasser – beispielsweise aus Rio de Janeiro an die Westküste Afrikas, die dort von portugiesisch-brasilianischen Versklavungshändlern genutzt wurden. Die bekanntesten dieser Fälle sind die der Schiffe ‚Echo‘ und ‚Louise‘ von 1840/41, die beide von britischen Schiffen unter dem Vorwurf der Beteiligung am Versklavungshandel aufgebracht wurden. In Gerichtsverfahren musste dann entschieden werden, ob eine Verurteilung unter dem Hanseatisch-Britischen Vertrag angebracht wäre. Der Kapitän der ‚Louise‘ C. H. Boye und der Schiffsbesitzer Ferdinand Blaß wurden letztendlich weitgehend freigesprochen, mussten jedoch die Kosten von Beschlagnahmung und Verfahren selbst tragen, da sie sich verdächtig verhalten hätten. Das Ergebnis bei der ‚Echo‘ war ähnlich, allerdings mit dem Unterschied, dass Kapitän Sohst im Britischen Sierra Leone der Prozess gemacht wurde. Er beklagte dort schlechte Haftbedingungen und den Tod dreier Mannschaftsmitglieder; Schiff und Ladung wurden unmittelbar verkauft. Erst im Wiederaufnahmeverfahren 1844 erfolgte ebenfalls ein Freispruch zweiter Klasse, wieder unterblieb eine Entschädigung.[5]

Schon zeitgenössisch sorgten diese Fälle – wie auch der ähnlich gelagerte der ‚Julius und Eduard‘ in Bremen – für Aufmerksamkeit. Zeitungen berichteten, Abhandlungen über den Fall wie die oben abgebildete entstanden. Dieses Interesse beruhte einerseits auf der zur Jahrhundertmitte weitgehend etablierten moralischen Ablehnung der Sklaverei, andererseits aber auch auf dem Versuch der Kaufleute, weitere Beschlagnahmungen zu verhindern. Ob sie sich tatsächlich aus dem umstrittenen Geschäft zurückzogen oder ihre Beteiligung nur besser tarnten, ist noch nicht endgültig geklärt. Zumindest sind aus den folgenden Jahren keine vergleichbaren Prozesse mehr bekannt. Britische Berichte aus Rio de Janeiro führen aber auch Ende der 1840er Jahre noch Hamburger Schiffe auf der verdächtigen Route im Südatlantik an.[6]

Diese Fälle verdeutlichen, dass entgegen der Hamburger Selbstdarstellung weiterhin zumindest klare Ansätze einer Beteiligung am atlantischen Versklavungshandel bis in die 1840er Jahre dokumentiert sind. Das tatsächliche Ausmaß ist angesichts des großen Interesses, diese Rolle geheim zu halten, schwer zu beziffern. Trotzdem trifft tendenziell zu, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die klassische versklavungsbasierte Plantagenwirtschaft in eine Legitimationskrise geriet– während allerdings andere Formen kolonialer unfreier Arbeit neu entstanden oder erheblich an Bedeutung gewannen.


[1] Über die Verhandlungen der Hansestädte mit  Großbritannien aus Bremer Perspektive: Hagedorn, Jasper Henning, Bremen und die atlantische Sklaverei. Waren, Wissen und Personen, 1780–1860, Baden-Baden 2023, S. 359–404.

[2] Ressel, Magnus, Hamburg und die Niederelbe im atlantischen Sklavenhandel der Frühen Neuzeit, in: WerkstattGeschichte 66/67 (2014), S. 75-96, hier S. 92f.

[3] Trans-Atlantic Slave Trade – Database, Voyage ID 900219, https://www.slavevoyages.org/voyage/database.  

[4] Kresse, Walter, Seeschiffs-Verzeichnis der Hamburger Reedereien. 1824 – 1888, Hamburg 1969, Band 1, S. 62.

[5] Lentz, Sarah, “No German Ship Conducts Slave Trade!” The Public Controversy about German Participation in the Slave Trade during the 1840s, in: Beyond Exceptionalism. Traces of Slavery and the Slave Trade in Early Modern Germany, 1650–1850, hrsg. v. Rebekka von Mallinckrodt / Josef Köstlbauer / Sarah Lentz, Berlin 2021, S. 287–311, hier S. 289–298.

[6] Z.B. The National Archives of the UK (TNA), FO 84-727, fol. 17: Information on departures and arrivals from Africa in Rio de Janeiro by British acting consul Westwood [1847].