Die etwa 25 Jahre ab 1789 stellten für viele historische Entwicklungen einen wichtigen Bruch dar. Aus europäischer Sicht steht meist die Französische Revolution im Mittelpunkt. Doch für das System der versklavungsbasierten Plantagenwirtschaft allgemein waren andere Entwicklungen dieses Zeitraums mindestens so folgenreich. Besonders gilt das für die Revolution auf Saint-Domingue, dem Westteil der Insel Hispaniola, heute Haiti. Im 18. Jahrhundert hatte sich diese zur wichtigsten französischen Kolonie entwickelt, besonders durch die Produktion immenser Mengen an Kolonialwaren wie Zucker und Kaffee. Für diese Güter mussten versklavte Menschen unter miserablen Bedingungen auf den Plantagen arbeiten, was enorme Todesraten bedeutete. Französische Menschenhändler brachten daher immer mehr von ihnen auf die Insel. Um 1790 waren von knapp 600.000 Personen auf der Insel etwa 90% versklavt, zudem gab es eine bedeutende freie Schwarze Bevölkerung. Aus diesen Gruppen speiste sich die Haitianische Revolution, die bis 1804 zu einem hohen Preis die Unabhängigkeit erkämpften.[1]

Während der Widerstand der versklavten Bevölkerung auf Haiti letztendlich den Ausschlag für tiefgreifende Veränderungen vor Ort gaben, waren am System der atlantischen Sklaverei schon in den Jahren zuvor Risse entstanden. Seit den 1770er Jahren wurden vor allem in Großbritannien und Frankreich immer mehr Schriften und Pamphlete veröffentlicht, die sich gegen die Sklaverei oder zumindest den Sklavenhandel aussprachen. Erste Gesellschaften setzten sich offiziell für deren Abschaffung ein, die Abolition. Auch im deutschsprachigen Raum gewann diese Bewegungen an Bedeutung.[2] Von staatlicher Seite unternahm Dänemark auf Initiative Ernst von Schimmelmanns 1792 den Schritt, dem Versklavungshandel eine letzte Frist von zehn Jahren zu geben – auch aufgrund der länderübergreifenden Bewegung.

Zugleich brachten die Revolutionskriege das atlantische System ins Wanken – und die Hamburger Kaufleute profitierten vorerst, wie schon im US-Unabhängigkeitskrieg. Denn sobald Staaten wie Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und Spanien Kriegspartei wurden, stieg die Nachfrage nach neutralen Schiffen, um die Verbindungen zu den Kolonien aufrechtzuerhalten. Protektionistische Vorschriften, die Schiffen unter fremder Flagge den Zugang verwehrten, wurden aufgehoben. In der Folge stieg der transatlantische Direkthandel aus Hamburg und Altona auf ein neues Niveau.

Auch Versklavungshandel aus der Region Hamburg, für den es über das 18. Jahrhundert hinweg sonst praktisch keine Belege gibt, lässt sich ab den 1790er Jahren wieder nachweisen: Hamburger und Altonaer Kaufleute und Reedereibesitzer beteiligten sich an der Verschleppung afrikanischer Menschen in die Amerikas. Sowohl der Krieg, wo französische und spanische Akteure auf norddeutsche Schiffe zurückgriffen, als auch die letzte Frist für den dänischen Versklavungshandel reduzierten Hemmnisse in Form von Monopolvorschriften. Als sich die Gelegenheit bot, schlug die Hoffnung auf Profite hier anscheinend alle moralischen Erwägungen.[3]

Anders als in Heinrich Carl von Schimmelmann gibt es jedoch in der Zeit um 1800 keine bekannte Symbolfigur für Hamburgs Beteiligung am Versklavungshandel. Ganz im Gegenteil, die meisten Akteure agierten auf relativ kleinem Niveau und sind in Quellen und Forschung kaum zu finden. Nur für einen einzigen Kaufmannsreeder, den Altonaer Johann Carl Schultz, sind in diesem Zeitraum mehr als zwei Versklavungsfahrten nachzuweisen. Seine Schiffe ‚Rachel‘, ‚Catharina‘, ‚Hoffnung‘ und ‚der gute Mann‘ – die letzten beiden Namen sind in diesem Geschäft besonders zynisch – erreichten mit versklavten Menschen die dänische Karibik beziehungsweise die La Plata-Region. Die meisten anderen Versklavungsfahrten von der Elbe führten ebenfalls in spanische oder dänische Kolonien; insgesamt wurde wohl eine vierstellige Anzahl an Menschen verschleppt, transportiert unter Beteiligung von hunderten deutschen Kauf- und Seeleuten. Genaue Zahlen zum Ausmaß fehlen, weil nicht aus allen möglichen Zielhäfen Unterlagen überliefert sind und außerdem für alle Akteure ein Interesse an Geheimhaltung angenommen werden kann: Nicht nur Reaktionen auf die Beteiligung an dem unmoralischen und schließlich verbotenen Geschäft, sondern auch Kaper durch britische Schiffe war eine reale Gefahr, sobald Häfen der Gegenseite in den Kriegen angesteuert wurden.

Trotzdem waren französische Häfen wichtige Zielorte der Schiffe aus der Region Hamburg. Das liegt nahe, denn die französische zivile Seefahrt wurde durch die britische Marine zu Kriegszeiten noch stärker eingeschränkt als die neutrale. Doch die meisten dieser Fahrten, auch zu afrikanischen Stützpunkten, dienten allen Anzeichen nach der Versorgung, nicht der transatlantischen Versklavung. Als wichtige afrikanische Ziele fuhren die Schiffe nach Saint-Louis im heutigen Senegal und Mauritius im indischen Ozean, zeitgenössisch offiziell Île de France (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen französischen Hauptstadtregion). Das Senegambia-Gebiet war traditionell Teil des atlantischen Systems und Saint-Louis einer der Stützpunkte des Versklavungshandels, wandelte sich aber im Lauf des 18. und 19. Jahrhunderts: Das Sammeln von Gummi – oft durch Formen unfreier Arbeit – spielte eine immer größere Rolle, und schließlich bildeten die Häfen eine Keimzelle des französischen Kolonialismus in Westafrika. Ähnlich wiesen Mauritius und die benachbarten Inseln im Indischen Ozean verschiedene Rollen auf: einerseits waren sie Zwischenhalte im Asien-Handel, andererseits selbst Plantagenkolonien. Auch wenn norddeutsche Kauf- und Seeleute hier keinen Menschen- sondern ‚legitimen‘ Handel betrieben, profitierten sie also vom System der Sklaverei.[4]

In den Kriegsjahren von etwa 1795 bis 1806 wies dieser Handel mit französischen Stützpunkten in Afrika für beide Seiten Bedeutung auf: Die norddeutschen Reedereien und Kaufleute konnten einen Handel übernehmen, der in Friedenszeiten weitgehend auf Schiffe unter französischer Flagge begrenzt war, und die neutralen Schiffe sorgten für einen Erhalt der weitgehend vom Mutterland abgeschnittenen Kolonien. Doch als 1806 die Kriege der Napoleonischen Zeit die Region Hamburg voll erreichten und die Stadt von Frankreich besetzt wurde, endete diese Phase so schnell, wie sie begonnen hatte. Britische Kaperfahrer nahmen immer mehr der beteiligten Schiffe, und ihre Marine blockierte in Folge der Kontinentalsperre die Elbe. Viele der am Kolonialhandel beteiligten Hamburger und Altonaer Handelshäuser gingen in dieser Krisenzeit bis 1815 zu Grunde. Andere, wie die an Mauritius-Fahrten beteiligte Godeffroys, überlebten und erreichten erst im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts ihre größte Bedeutung.

Das zeigt: Obwohl die Zeit der Revolutionskriege von den 1790ern bis zur Kontinentalsperre aufgrund des massiven Einbruchs im Handel wie eine isolierte Episode wirkt, hat sie durchaus wegweisende Bedeutung für das restliche 19. Jahrhundert. Ohnehin ist der Zeitraum der Slaves Voyages Database zufolge die Hochphase eines von deutschen Häfen ausgehenden Versklavungshandels und somit für sich betrachtet von erheblicher Relevanz – was sich in der bisherigen Forschung allerdings nur ansatzweise wiederspiegelt.


[1] Klassisch zum Thema: James, C. L. R., The Black Jacobins. Toussaint Louverture and the San Domingo Revolution, London 1938. Als kurzer Überblick: Gliech, Oliver: Haiti – Die „erste schwarze Republik“ und ihr koloniales Erbe, in: APuZ 28/29 (2010), S. 17–23, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/32627/haiti-die-erste-schwarze-republik-und-ihr-koloniales-erbe/.

[2] Dazu ausführlich: Lentz, Sarah, »Wer helfen kann, der helfe!«. Deutsche SklavereigegnerInnen und die atlantische Abolitionsbewegung, 1780-1860, Göttingen 2020.

[3] Mit detaillierten Nachweisen für das Folgende: zur Lage, Julian, Die Hochphase des deutschen Versklavungshandels. Akteure aus dem Raum Hamburg und ihre globalen Netzwerke um 1800, in: Zeitschrift für Historische Forschung 49 (2022), S. 665–694.

[4] Zu Mauritius: Toussaint, Auguste, La route des Iles. Contribution à l’histoire maritime des Mascareignes, Paris 1967, S. 307–328 für diverse Hamburger Schiffe.