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Bei der Motivsuche im deutsch-afrikanischen Kontext überrascht die indigene Frau als beliebtes und immerzu wiederkehrendes Hauptmotiv nicht. Zum Genre der Kolonialfotografie, dessen Erschaffer größtenteils weiße europäische Männer waren, gehörten spärlich bekleidete weibliche Kolonialsubjekte zu den beliebtesten Fotomotiven, wobei das Motiv der indigenen Mutter davon abweicht.
Nachdem die Fotografie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stetig näher mit der wissenschaftlichen Erkundung außereuropäischer Gebiete zusammenrückte, so gehörte sie bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts als Forschungsinstrument zur Grundausrüstung eines Wissenschaftlers und Expeditionsreisenden. Fast jeder Forscher der Geistes- und Naturwissenschaften benutzte fortan einen Fotoapparat, um seine Ergebnisse oder Entdeckungen dauerhaft festzuhalten. Die Kamera war Teil einer jeden Fernreise geworden. Es ist daher kaum verwunderlich, dass auch die Mecklenburg-Expedition von 1910/11 mehrere Apparate mit sich führte, als sie durch Westafrikas subsaharische Gebiete reisten.
Bilder 2 und 3: Mandja-Mutter mit Kind
Quellen: Die Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“, unter der Leitung von Prof. Dr. J. Zimmerer, und das Hamburger Museum für Völkerkunde erarbeiten derzeit mit einem interdisziplinären Team die Fotosammlung der sogenannten Mecklenburg-Expedition nach Zentralafrika von 1910/11. Aus diesem Bestand stammt die Bildquelle (Signaturen: 194_161_Schubotz_Mandja-Mutter mit Kind; 195_408_Wiese_Mandja-Mutter mit Kind).
Wer sich mit kolonialen Bildthemen beschäftigt und thematisch passende Museumsausstellungen und Bildbände betrachtet hat, dem sind anthropometrische Fotografien nicht fremd; vor allem die dazugehörige Nacktheit ist dem/der BetrachterIn (leider) wohlbekannt. Die Nacktheit der Abgebildeten ging oft Hand in Hand mit der Visualisierung (und Sexualisierung) des kolonialen Anderen, beschränkte sich aber nicht auf das weibliche Geschlecht sondern zeigte auch nackte oder wenig bekleidete Männer und Kinder.[i]
Auch die Mecklenburg-Expedition erstellte anthropometrische Fotografien, die dem damaligen Standard entsprachen; d.h., dass die Expeditionsfotografien afrikanische Personen zeigten, die sich vor einem im Hintergrund aufgespannten weißen Laken hinstellen mussten, damit von ihnen detailgetreue Frontal-, Profil- und Ganzkörperbilder geschossen werden konnten.
Die im zweiten Teil unserer Blogserie präsentierten Bilder erhielten von den zwei Fotografen – Dr. Arnold Schultze und Walther von Wiese und Kaiserswaldau – denselben Titel: „Mandja-Mutter mit Kind“. Wenn wir die Panofsky/Wohlfeil Methode anwenden, so sehen wir im linken Bild eine auf dem Boden sitzende Frau, die im Schoß einen Säugling hält. Vor und hinter ihr sind auf dem Boden einige Schalen zu sehen, neben ihr sitzen drei weitere Kinder in unterschiedlichem Alter ebenfalls auf dem Boden und im Hintergrund befindet sich eine Hütte. Beim rechten Bild sehen wir eine Frau, die mit Hilfe einer Art Schlaufe einen Säugling trägt. Hier aber steht die Frau vor einem weißen Hintergrund und am linken Rand ist ein grauer Balken zu sehen, in dem die Nummer 408 zu lesen ist. Beide Frauen tragen Haarschmuck, Nasenringe und sind spärlich bekleidet. Auf die vor-ikonografische Analyse folgt nun die ikonografisch-historische Analyse. Hierbei beschäftigt sich der Betrachter mit der Deutung, Mitteilungsabsicht und dem Entstehungshintergrund des Bildes.
Die Fotografien zeigen zwei junge Frauen/Mütter, die einen bzw. ihren Säugling im Schoß liegen haben oder auf dem Arm tragen. Ihre Blicke in die Kamera sind, meiner Meinung nach, voller Zweifel und Argwohn. Ob sich ihre Emotionen gegen die Kamera als unbekanntes Gerät richten oder ob das Misstrauen den Fotografen selbst gilt, bleibt offen. Vielleicht trauten sie weder dem Gerät noch dem Europäer. Oder aber sie strahlen Unlust aus: die Unlust daran, unfreiwillig Modell zu stehen und abgelichtet zu werden während sie sich um ihre Kinder sorgen. Beide Frauen gehörten der Ethnie der Mandschia an, dessen Nachkommen heutzutage hauptsächlich in der Zentralafrikanischen Republik leben aber auch als Minderheiten im Tschadgebiet und im Kamerun vertreten sind.
Bei der Besprechung dieser zwei Bildquellen soll es nicht nur um die Darstellung der subalternen indigenen Frau gehen, sondern um den Vergleich der zwei Bildmotive. Denn was beim Betrachten der knapp 2.300 Fotos der Fotosammlung der Mecklenburg-Expedition deutlich wurde, ist, dass das Motiv der (jungen) Mutter mit Säugling ein häufiges ist. Diese beiden Fotografien wurden während derselben Forschungsreise von zwei verschiedenen Expeditionsmitgliedern geschossen, haben dieselbe Überschrift erhalten, können aber beim Betrachter zwei recht unterschiedliche Stimmungen hervorrufen. Die erste Fotografie erweckt eher den Eindruck eines Schnappschusses, einer ‚echten‘ Lebenssituation, während das zweite konstruiert wirkt. Daher meine Fragen an Sie, die BetrachterInnen: Woher mag dieser Fokus auf die indigene westafrikanische Mutter kommen? Welches Ziel verfolgten die deutschen Expeditionsfotografen beim Festhalten der nicht-europäischen Mutterfigur? Welche Wirkung erzeugen die abgebildeten Szenen aber auch die Bildstile auf Sie, den/die BetrachterIn? Und wie schätzen Sie die Wirkung eines solchen Motivs auf die damalige deutsche Öffentlichkeit ein? Ich freue mich auf Ihre Beiträge![ii]
Dr. Diana Miryong Natermann
[i] Entgegen der oft praktizierten Anweisung von Kolonialfotografen an die indigenen Fotomodelle, sich auszuziehen, ist an dieser Stelle zu bemerken, dass die spärliche Kleidung in beiden Fälle den damaligen kulturellen Gepflogenheiten angemessen und nicht durch Europäer beeinflusst wurde.
[ii] Hierbei geht es nicht um die Perpetuierung kolonialer Motive, sondern um die kritische Analyse des kolonialen Blickes von 1910/11. Es gilt, historische Bildquellen mit postkolonialen Theorien in Verbindung zu bringen und somit neue Forschungsansätze zu testen und zu gestalten. Um diesem Ziel näher zu kommen, lässt sich eine Wiedergabe von kolonialen Bildmotiven und visuellen Quellen, die unangenehme Assoziationen erwecken können, leider nur bedingt umgehen.