Von Caroline Herfert

Mit Spannung war die Welturaufführung von Lemi Ponifasios „Children of Gods“ im Kakaospeicher am Baakenhöft erwartet worden. Zur Eröffnung von „Theater der Welt“ war eine Musiktheaterproduktion gigantischen Ausmaßes geplant, mit hunderten von Sänger*innen, Kindern und Jugendlichen aus Hamburg. Doch es sollte anders kommen: Es wurden nicht genug Sänger*innen gefunden, um die ambitionierte Vision des neuseeländisch-samoanischen Startheatermachers  umzusetzen. Dem Programmzettel ist daher ein Künstler-Statement beigefügt, das die Änderung des Titels in „Die Gabe der Kinder“ erklärt. Aus der geplanten Musiktheaterproduktion wurde nun ein Transformations-Ritual, als gemeinschaftlich erarbeitete „Antwort auf die derzeitige Szenerie aus Gewalt, Terror, zur Flucht gezwungenen Menschen, insbesondere Kindern“, so Ponifasios Statement.

Es ist unbestritten: Das Ergebnis überzeugt nur bedingt, den bleibendsten Eindruck hinterlässt der außergewöhnliche Aufführungsort. Der ehemalige Kakaospeicher des Afrika-Terminals, der bis 2014 in Betrieb war, wurde im Zuge des Festivals nun erstmals geöffnet und öffentlich zugänglich gemacht. Diese Halle von 9000 Quadratmetern spielt die Hauptrolle dieses Abends und stiehlt allen Akteur*innen die Schau. Der riesige Raum, durch wuchtige Säulen in der Mitte in zwei Hälften getrennt, ist komplett leer geräumt, ungeschönt. Bespielt wird fast ausschließlich die linke Hälfte der Halle, in der auch die Tribüne für die Zuschauenden aufgebaut ist. Einzig in regelmäßigen Abständen gesetzte, transparente 5-Liter-Wasserkanister säumen die Ränder der Längsseiten. Der Eindruck der Weite, in der sich die Kanister ebenso wie die agierenden Menschen verlieren, wird den ganzen Abend vorherrschen.

Der Ablauf des angekündigten Transformationsrituals ist schnell beschrieben und doch in seiner Wirkung schwer in Worte zu fassen. Es ist eine Aneinanderreihung von Bildern, die durch die Anordnung von Körpern im Raum, durch Lichtstimmung und Soundscape entstehen und sich in neue Bilder transformieren, mal mehr, mal weniger subtil: 7 Frauen in wallenden schwarzen Gewändern durchschreiten in exakter Formation die Halle, während ihre samoanischen Gesänge den Raum erfüllen; sie werden auch den Abend mit ihren meditativ wirkenden Gesängen beschließen – dies sind die Momente, in denen die Inszenierung berührt in ihrer poetischen Schlichtheit. Dazwischen tritt eine ältere Frau mit einem Schlaginstrument von hinten auf und stimmt ihren Gesang an; Jugendliche schreiten in einer Prozession langsam die Halle ab; eine junge Frau vollführt vor den gruppierten Jugendlichen einen Haka mit einem Stock; die Jugendlichen stehen im Spalier am Rand der Spielfläche; eine andere junge Frau taucht ihre Hände in einen kleinen Bottich mit roter Farbe, bedeckt Gesicht und Brust damit und legt sich hin, bevor sie mit Wasser wieder reingewaschen wird; auch die Kinder legen sich im Raum verteilt ausgestreckt hin; sie stehen auf, holen bedächtig Wasserkanister vom Rand und gießen sie in ebenso langsamen wie bestimmten Bewegungen auf dem Boden aus; ein stummer Chor aus Erwachsenen schreitet den Raum ab. Unterdessen schwillt die atmosphärische Soundscape von einem kaum merklichen Grollen an zu gewaltigem Donnern, das die Halle erschüttert. Dazwischen ertönt „Credo“ von Murray Shafer aus den Lautsprechern und untermalt phasenweise diese Choreographie.

Foto: „Die Gabe der Kinder“, Lemi Ponifasio, © Kerstin Behrendt

Ponifasio hat mit „Die Gabe der Kinder“ eine sehr reduzierte, streng formalistische Arbeit vorgelegt, die mit dem Kontrast von Licht und Schatten, natürlichem und Scheinwerferlicht, von Stille und ohrenbetäubender Soundscape, von Leere und der Füllung des Raums arbeitet. Doch wie gesagt, es ist diese enorme Halle, die die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Man lässt den Blick durch die Halle wandern, lässt die eigentümliche Lichtstimmung, die das schwindende Tageslicht zaubert, auf sich wirken; beobachtet die feinen Nebelschwaden, die im Verlauf des Abends sanft durch den Raum ziehen. Das Transformationsritual, in dem die Kinder Wasserkanister um Wasserkanister ausleeren, so scheint es, transformiert auch den ehemaligen Kakaospeicher des Afrika-Terminals und weiht ihn ein als außergewöhnlichen Aufführungsort ein.

Im Kontrast zu „Die Gabe der Kinder“ im Kakaospeicher am Baakenhöft steht die zweite Eröffnungsproduktion dieses Festivals, die auf Kampnagel zu sehen war: „Ishvara“ von Tianzhou Chen. Die ästhetischen Handschriften dieser beiden Eröffnungsproduktionen von „Theater der Welt“ könnten unterschiedlicher nicht sein. Ponifasios strenger Reduktionismus auf der einen Seite. Der nicht enden wollende manierierte, schrill-lärmende Bilderreigen des Künstler-Shootingstars aus China andererseits. Beides muss nicht jedermann und jederfrau gefallen. Hat es auch nicht, wie hier und da aufgeschnappte Eindrücke aus dem Publikum und die gespaltenen Meinungen der Rezensionen bestätigen. Trotz großer Vorfreude im Vorfeld werden auch für mich weder „Die Gabe der Kinder“ noch „Ishvara“ zu den Highlights von „Theater der Welt“ zählen.

Das Festival mit insgesamt 330 Veranstaltungen anhand von drei Vorstellungen in Bausch und Bogen zum grandios gescheiterten Flop zu erklären, wie es Stefan Grund in der Welt vorexerziert hat, ist nicht nur verfrüht, sondern vor allem auch fehl am Platz. Lassen wir die Kirche im Dorf und besinnen uns auf das Wesentliche, das ‚big picture‘, an dem Stefan Grund sich stört, wenn er die Programmierung dieses Festivals naserümpfend als politisch korrektes ‚Gutmenschentum‘ und Feigenblatt der Politik brandmarkt.

Es steht außer Frage, dass Theater, Musik, Performance, Tanz etc. nicht als gesellschaftliches Allheilmittel fungieren können. Sollen sie auch nicht. Aber die Wahl der zwei Eröffnungsproduktionen und des Eröffnungsredners Achille Mbembe sendet ein wichtiges Zeichen in die deutsche, in die europäische Kulturlandschaft: Wenn Festivals wie die Wiener Festwochen und „Theater der Welt“ 2017 Produktionen aus Afrika, Asien oder Südamerika nicht nur als ‚exotisches Beiwerk‘ zum europäisch dominierten Hauptprogramm erklären, dann ist das höchst begrüßenswert. Sie leisten damit einen wertvollen praktischen Beitrag, dass wir althergebrachte Theaterbegriffe und damit verbundene Eurozentrismen – die sich auch und vor allem im Bereich der Kultur äußern – überwinden. Die prominente Platzierung von „Die Gabe der Kinder“, „Ishvara“ und Mbembe im Eröffnungsprogramm war eine richtige und programmatische Entscheidung, die sich logisch aus der konsequent gedachten und global verstandenen Vielfalt von Perspektiven, Ästhetiken, Theaterformen ergibt. Sie steht pars pro toto für ein breit gefächertes Gesamtprogramm, das mit 45 Produktionen und beteiligten Künstler*innen aus fünf Kontinenten in der Tat Zeichen setzt, und dazu einlädt, über den eigenen Tellerrand zu schauen.