Ein drohendes „600-Millionen-Desaster“. So nannte Prof. Dr. Jürgen Zimmerer das Humboldt Forum und forderte die deutsche Zivilgesellschaft auf, sich das preußische Stadtschloss intellektuell anzueignen und zu transformieren. Er diskutierte am 29.5.2019 mit Prof. Dr. Bénédicte Savoy und Arlette-Louise Ndakoze im ZEIT Forum Wissenschaft: Kunst und Kolonialismus in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Über den „Umgang mit geraubten Artefakten“ aus kolonialen Kontexten und die Bedeutung des Kolonialismus für gegenwärtige Debatten im Allgemeinen sprachen im Zeit Forum Wissenschaft die Forscherin bei ‚SAVVY Contemporary: The Laboratory of Form-Ideas‘ Arlette-Louise Ndakoze, die Kunsthistorikerin Prof. Dr. Bénédicte Savoy und der Globalhistoriker Prof. Dr. Jürgen Zimmerer, Leiter der Forschungsstelle ‚Hamburgs (post-)koloniales Erbe‘.
Zum Stand der Debatte über koloniale Raubkunst verwies Savoy eingangs auf die mittlerweile langsam einsetzende Bereitschaft zur Restitution, nachdem bereits seit Jahrzehnten Rückgabeforderungen bestanden. Zimmerer merkte an, dass derzeit nur Restitutionen eher weniger bedeutende Objekten erfolgten, während bei entscheidenden Objekten, wie den Benin-Bronzen, nach wie vor keine Fortschritte erzielt würden.
Dass koloniale Strukturen bis heute fortwirken und sich in der aktuellen deutschen und europäischen Politik über die Restitutionsdebatten hinaus widerspiegelten, betonte anschließend Ndakoze. Zimmerer knüpfte mit dem Hinweis an, dass die Verhandlungen auf Regierungsebene zwischen Deutschland und Namibia sich innerhalb der durch den Kolonialismus geschaffenen völkerrechtlichen Strukturen bewegen, während die Opferverbände ausgeschlossen würden. Stattdessen erforderlich sei „endlich eine breite zivilgesellschaftliche Debatte“ über den Umgang mit kolonialen Verbrechen.
Savoy verwies auf die zentrale Bedeutung der Museen für die öffentliche Wahrnehmung von Gegenständen aus kolonialen Kontexten, weshalb eine öffentliche Thematisierung von Objektgeschichten und Restitutionsforderungen erfolgen müsse. Zimmerer kritisierte in diesem Zusammenhang die von „kolonialer Amnesie“ geprägte Gestaltung des Humboldt Forums ohne konkrete Ideen zum Umgang mit der Raubkunstdebatte. Stattdessen herrschten ausweichende „Abwehrreflexe“ vor, so dass das Humboldt Forum zum „600-Millionen-Desaster“ zu werden drohe.
Zur Aufzeichnung: https://www.deutschlandfunk.de/auf-den-punkt.3385.de.html