Nicht nur die wichtige Rolle des Robert-Koch-Instituts in der COVID-19-Epidemie sorgt für neue Aufmerksamkeit für den Namensgeber. Auch der 110. Todestag und besonders die aktuelle Auseinandersetzung mit Rassismus sorgen für zusätzliche Aktualität, wie Prof. Dr. Jürgen Zimmerer betont – verschiedenste Medien nehmen sich des Themas an.

Im Kern der Debatte stehen Robert Kochs Forschungen im östlichen Afrika in den Jahren 1906/07. Nachdem Koch in den Jahrzehnten zuvor als Entdecker des Tuberkulosebakteriums und für seine Rolle in der Bekämpfung der Cholera in Hamburg bekannt geworden war, erhielt er über 60-jährig den Auftrag zur Erforschung der Schlafkrankheit. Seine Versuche führte er auf den Sese-Inseln im Viktoriasee durch, also auf britischem Kolonialgebiet, aber auch mit deutscher Unterstützung. In seinen Experimenten verabreichte er Erkrankten ohne deren Einwilligung das arsenhaltige Medikament Atoxyl in Dosierungen, die aufgrund der bekannten Gefahren in Europa nicht erlaubt gewesen wären: „Die schweren Nebenwirkungen nahm er offenbar billigend in Kauf. Sie waren nicht nur äußerst schmerzhaft, sondern führten auch zur Erblindung von Patienten und bei einigen sogar zum Tod“, ordnet Zimmerer das Verhalten Kochs in seinem Artikel für den Spiegel ein.

In diesem Zusammenhang sei die Bedeutung der Medizin als eine „zentralen Grundlagenwissenschaften des Kolonialismus“ zu berücksichtigen, so Zimmerer weiter: Sie sollte nicht nur die Kolonisatoren in die Lage versetzen, die Gebiete zu kontrollieren, sondern auch die Arbeitskraft der Kolonisierten erhalten. Dass dies und die Rolle Robert Kochs als bedeutendstem Vertreter der Disziplin nicht reflektiert werde, sei „der immer noch herrschenden kolonialen Amnesie geschuldet“.

Für das Robert-Koch-Institut stellt sich somit die Frage: Ist der Namenspatron, dem das Gebäude auf eigenen Wunsch auch als Grabstätte dient, noch angemessen? Auf der Homepage des Instituts werden die Forschungsaufenthalte Kochs am Viktoriasee nur knapp als „das dunkelste Kapitel seiner Laufbahn“ dargestellt, eine tiefergehende Debatte erfolgte bisher nicht. Einen Auftakt in dieser Hinsicht übernahm Deutschlandfunk Kultur mit einem Interview, in dem Prof. Dr. Jürgen Zimmerer für eine kritische Auseinandersetzung plädiert. Der Medizinhistoriker Prof. Dr. Christoph Gradmann stellte sich dem entgegen und fordert eine Beibehaltung des Namens, während der Philosoph Prof. Dr. Thomas Macho Zimmerer in der Sache zustimmte, den Zeitpunkt der Debatte allerdings in Frage stellte. Zu diesem Punkt hatte Zimmerer allerdings schon vorab Stellung genommen: „Mein Einwand, zu sagen, es kommt jetzt zum falschen Zeitpunkt, wäre ja: Warum haben sie die letzten 110 Jahre nicht schon drüber nachgedacht?“

Zudem zeigten gerade die aktuellen politischen Auseinandersetzungen über Rassismus und Koloniales Erbe, wie zentral das Thema gerade heute sei, so Zimmerer in seinem Beitrag für ‚der Freitag‘: „Die Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit ist auch eine mit der Gegenwart. Wenn Schwarze Leben zählen sollen, ‚Black Lives Matter‘, gerade jetzt, dann sollten sie das auch bei der Betrachtung der Vergangenheit.“

 

Zum Artikel auf spiegel.de: https://www.spiegel.de/geschichte/robert-koch-der-beruehmte-forscher-und-die-menschenexperimente-in-afrika-a-769a5772-5d02-4367-8de0-928320063b0a

Zum Artikel auf freitag.de https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/der-kolonialismus-ist-nicht-vorbei

Prof. Dr. Jürgen Zimmerer und Prof. Dr. Phillip Osten, Direktor des Medizinhistorischen Museums Hamburg, in einem Beitrag des Tagesspiegels: https://www.tagesspiegel.de/wissen/zum-110-todestag-des-beruehmten-mediziners-die-zwielichtige-karriere-des-dr-robert-koch/25858566.html

Prof. Dr. Jürgen Zimmerer in einem Beitrag von ‚Neues Deutschland‘: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137273.robert-koch-institut-forschung-ohne-sockel.html