Wie ist mit Statuen und anderen Denkmälern umzugehen, die an Sklavenhändler und andere Akteure aus der Kolonialzeit erinnern? Dieser Frage wird aktuell intensiv diskutiert. Zahlreiche Medien wie das ARD-Morgenmagazin, der NDR und der Deutschlandfunk baten Prof. Dr. Jürgen Zimmerer daher zum Gespräch.
Anlass der Auseinandersetzungen ist der Sturz des Denkmals für den Sklavenhändler und Philanthropen Edward Colston im britischen Bristol durch Aktivist*innen. Ein solches aktives Vorgehen sei nur „eine Frage der Zeit“ gewesen angesichts der langanhaltenden, aber weitgehend ergebnislosen Diskussionen um eine „Dekolonisierung des öffentlichen Raumes“ in vielen europäischen Ländern, so Zimmerer in Deutschlandfunk Nova.
Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Statuen, Gedenktafeln und Straßennamen, die koloniale Akteure ehren. Zimmerer nennt unter anderem den deutsch-dänischen Plantagenbesitzer und Staatsmann Heinrich Carl von Schimmelmann oder Reichskanzler Bismarck. Besonders die Auseinandersetzung mit Bismarck erfährt große Aufmerksamkeit: Zum einen, weil ihm zahlreiche große Statuen gewidmet sind, wie etwas das aktuell für mehrere Millionen Euro restaurierte, über 30 Meter hohe Denkmal in Hamburg, auf das etwa im ARD-Morgenmagazin oder im NDR Bezug genommen wird. Außerdem gilt Bismarck in der Öffentlichkeit weithin als Gegner einer deutschen Expansion in Afrika. Dass diese Einschätzung zu kurz greift und seine zentrale Rolle in der gewaltvollen kolonialen Neuordnung Afrikas ignoriert, fasste Zimmerer schon vor den aktuellen Debatten in einem Beitrag für ‚Aus Politik und Zeitgeschichte‘ zusammen.
Die Zahl der Kolonialdenkmäler geht jedoch deutlich über die bekannten Einzelfälle hinaus: Ein Aufruf zur Sammlung der zahlreichen weiteren Statuen, Gedenktafeln und sonstigen Erinnerungsorte in Deutschland fand erhebliche Resonanz. Eine solche Übersicht sei wichtig, um eine „Kartografie des kolonialen Erinnerns“ zu erhalten, so Zimmerer im Deutschlandfunk. Auch das neu erbaute Humboldt Forum sei in diesem Kontext zu betrachten, insbesondere das Kreuz als „Widerspruch […] zur versprochenen Aufarbeitung des kolonialen Erbes“. Ähnlich müsse angesichts seiner kolonialen medizinischen Forschung über den Namenspatron des Robert-Koch-Instituts nachgedacht werden, um ‚Black Lives Matter‘ auch historisch ernst zu nehmen.
In der Frage nach dem weiteren Umgang mit der kolonialen Erinnerung plädiert Zimmerer für deutlichere Eingriffe als bisher. Zwar sei es nicht wünschenswert, die Denkmäler einfach zu demontieren, da sie als „historische Quellen erhalten bleiben“ sollten, so Zimmerer in einem ausführlichen Interview mit der Tiroler Tageszeitung. Aber kleine Tafeln zur Kontextualisierung reichten nicht, weil sie kaum wahrgenommen werden. Stattdessen müssten die Statuen etwa liegend oder Kopf stehend präsentiert oder Gebäude wie das Humboldt Forum mit Stacheldraht, der auf die Konzentrationslager in Deutsch-Südwestafrika verweist, gebrochen werden. Denn: „solange diese Denkmäler ungebrochen stehen, wird im Grunde dieses Weltbild ja weiter verherrlicht“.
Zu ausgewählten Interviews:
Im ARD-Morgenmagazin:
Gemeinsam mit Sanem Kleff und Tahir Della in NDR-Redezeit:
https://www.ndr.de/nachrichten/info/sendungen/redezeit/Schwarze-Leben-zaehlen,sendung1027248.html
Ausführlich in der Tiroler Tageszeitung
https://www.tt.com/artikel/17051889/historiker-juergen-zimmerer-sehgewohnheiten-radikal-brechen
Radiointerviews mit Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Nova:
https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/rassismus-und-kolonialismus-umstrittene-denkmaeler