Die Stadt Umdenken_Repenser la ville_

Ein Projekt des Virtuellen Partizipationslabors Postkoloniales Erbe

Autorin: Tania Mancheno

Victor Akwa Dicka

Porträt Victor Akwa Dicka (c) Victor Akwa Dicka

 

Victor Akwa Dicka ist der Urenkel von Dika Mpondo. Dika Mpondo hatte 1884 den deutschen „Schutzvertrag“ mit unterzeichnet, der zur deutschen Kolonisierung Kameruns führte.

Yaoundé, Kamerun

Tania Mancheno führte das Interview via Mailkorrespondenz in 2019

Übersetzung von: Naz Al-Windi und Tania Mancheno

 

1. Tania Mancheno: Könnten Sie einen Ort benennen, der als Erinnerungsort des deutschen Kolonialismus in Kamerun fungiert und seine geographischen Besonderheiten skizzieren?

Victor A. Dicka: Das Bauwerk Yellow House befindet sich an dem Ort, wo einst das Abkommen von 1884 unterschrieben wurde, im Viertel Bonelèkè, in Akwa. Besonders an dem Ort ist, dass in diesem Haus mehrere der Verhandlungen stattfanden, die letztendlich zu dem „Schutzvertrag“ von 1884 führten. Jedoch wird die historische Relevanz des Hauses für ganz Kamerun von vielen Menschen immer noch ignoriert. Heutzutage dient das sogenannte Yellow House als Nebengebäude der Postbüros der Stadt. Allerdings symbolisierte für meine Großeltern, meine Onkel und meinen Vater das Yellow House die Grenzgebiete zu den zwei europäischen Firmen, welche damals sogar eingezäunt waren. Das Yellow House stellte also eine Art Grenze dar. Flussabwärts, hin zum Ufer liegt das ehemalige Gebiet der Firma R&W King und dies erstreckte sich hin in Richtung der Kirche Bethel. Heutzutage steht an diesem Ort immer noch die Kirche, die „la Centenaire“ genannt wird, und gegenüber dieser Kirche befindet sich ein ehemaliges Gebäude der Firma Woermann. Genau hinter den Gebäuden der Firma befand sich der große Innenhof (Eboko Endene) des Palasts von König Akwa.  

Das Yellow Haus/ Le Yellow House

Das Yellow Haus/ Le Yellow House (c) Victor Akwa Dicka

 

King Awkas Ufer /Rivage du Roi Awka

King Awkas Ufer /Rivage du Roi Awka (c) Victor Akwa Dicka

2. TM: Haben Sie Vorschläge für eine Dekolonisierung dieses Ortes?

VAD: Für mich bedeutet dekolonisieren nicht zwangsläufig das Zerstören der Überbleibsel des Kolonialismus. Denn es sind trotzdem Bestandteile unserer Vergangenheit. Die Symbolik dieser Kolonialorte hat sich mit der Zeit vervielfältigt und sie wirken nachhaltig auf das nationale Bewusstsein ein. Die Vergangenheitsbewältigung ist vor allem Aufgabe der zukünftigen Generationen, weil sie besonders mit den psychologischen Konsequenzen des Schmerzes und des kollektiven Traumas konfrontiert sind. Sie müssen sich demnach der Vergangenheit stellen und sich psycho-analytisch mit dem jetzigen Kontext beschäftigen. Wie bereits erwähnt, bleibt gerade das Yellow House, wo einst das Abkommen von 1884 unterschrieben wurde, für die breite kamerunische Öffentlichkeit unbekannt. Trotz dieser kolonialen Amnesie markiert meiner Meinung nach dies denjenigen Ort, an dem die gesellschaftliche Zusammensetzung eines Gebietes in unserem heutigen Staat entstanden ist. Meines Erachtens könnte der Prozess der Dekolonisierung auch formell erfolgen. Es würde genügen, dass Deutschland offiziell den Status des Protektorats in Kamerun anerkennt.

3. TM: Welche sind, Ihrer Meinung nach, die Möglichkeiten einer Umdeutung der Gewaltgeschichte von denjenigen Orten und Plätzen, die Bestandteil des materiellen Erbes des deutschen Kolonialismus in Kamerun sind? 

VAD: Meines Erachtens nach müssen die Überbleibsel der deutschen Kolonialpräsenz archiviert und geschützt werden, damit sie als Bezugspunkte unserer Vergangenheit für die nachfolgenden Generationen dienen können. Wir wissen, dass sich die Geschichte in der Stadt im Allgemeinen in der Form von Denkmälern und Gebäuden äußert. Diese dienen als physische Spuren der Vergangenheit, welche die unterschiedlichen Epochen aus verschiedenen Perspektiven artikulieren. Außerdem sollten wir die Orte, Plätze und Denkmäler, die das Erbe des deutschen Kolonialismus in Kamerun bilden, als eine Art Zeugenschaft betrachten, die Auskünfte über das Erlebte behausen. Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Gegenwart gerade aus diesen Zeugenschaften von denjenigen, die vor uns gewirkt haben, entsteht. Auch wenn diese schmerzhafte Erinnerungen an die Kolonialzeiten beinhalten, so bilden sie die verschiedenen Puzzleteile unserer kollektiven Erinnerung.

4. TM: Wie werden die historischen Auswirkungen von den hamburgischen Woermann-Firmen in Kamerun heute wahrgenommen? Anders gefragt, was repräsentieren sie für die Menschen in Kamerun heute?

VAD: Die älteren und jüngeren Generationen haben kein differenziertes Wissen über die Ambivalenzen und die ökonomischen Verstrickungen der Woermann-Firmen in Kamerun. Darüber hinaus ist es schwierig eine genaue Anzahl an deutschen Firmen, die in Kamerun tätig waren, zu nennen. Auch eine genauere Beschreibung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten bleibt unerforscht. In einigen Familien, meiner inbegriffen, ist es schwierig deutlich zu rekonstruieren, für welche deutsche Firmen ihre Verwandten tätig waren und welche genaue Beschäftigung sie ausübten. Ich weiß zum Beispiel von meinem Urgroßvater (King Akwa), dass er stets einen Vorrat an Elfenbein als seine eigenen Rücklagen aufbewahrte. Während der deutschen Kolonialherrschaft war es für einen seiner Söhne (meinen Onkel) möglich eine Bananenplantage zu bewirtschaften. Mit dem Ende des Zwischenhandels (commerce intermédiaire) fingen zahlreiche Duala-Familien an sich fortan landwirtschaftlich auszurichten. Die Tatsache, dass unsere Wirtschaft bis heute vor allem auf die Produktion und den Export landwirtschaftlicher Güter ausgerichtet ist, ist sicherlich auf die starke Nachfrage von deutschen Firmen, vor allem Woermanns, zurückzuführen. Insbesondere trifft dies bei dem Anbau von Kakao zu. Die Kakaopflanze wurde nämlich von den Deutschen aus Brasilien zu uns gebracht. Anhand des Beispiels der Kakaoproduktion werden die Kolonialpräsenz und die Nachwirkungen des deutschen Kolonialismus in Kamerun deutlich. Diese spiegeln sich in der Kontinuität zwischen der ehemaligen Planung von Kolonialplantagen der Woermann-Firmen und der heutigen Nutzung von ländlichen Gebieten im Zentrum (auch südlich und süd-östlich) des Landes wieder. In der späteren Kolonialzeit ließen sich dort ehemalige Mitarbeiter der Woermann-Firmen sowie einige Lokalsprecher (Chef) nieder und verwandelten die Gebiete in Kakaoplantagen. Heutzutage leben immer noch viele Communities in ländlichen Gegenden vom Verkauf der Kakaoernte.

5. TM: Existiert eine kollektive Erinnerung an den wirtschaftlichen Akteur Woermann?

VAD: Bedauerlicherweise nicht. Die Firma kommt lediglich in einigen historischen Lehrbüchern vor, die ihre Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes erwähnen und zum Teil glorifizieren. Tatsächlich übten die Woermann-Firmen wirtschaftlichen Einfluss auf mehrere Bereiche der Industrie in Kamerun aus. Unter den verschiedenen Unternehmen, die heute bedeutend für Kamerun sind, ist die CDC (Cameroon Development Corporation) zu nennen. Aufgrund  ihrer wirtschaftlichen Macht gilt sie als Prunkstück unseres Staates. In der Stadt Douala, im Viertel Bonanjo steht noch heute ein Gebäude der Woermann-Linie, welches beim Vorbeigehen flüchtig wahrgenommen werden kann. Dieser Bau wurde zwischen 1926 und 1927 errichtet, d.h. in der Zeit als Deutschland Mitglied im Völkerbund (Société de Nations) war und befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Handelskammer. Im gleichen Viertel in der Nähe des Hafens befindet sich das „Haus der Junggesellen Woermanns“ (La Maison des Célibataires de la Woermann).

6. TM: Welche Position nimmt der kamerunische Staat im Hinblick auf die koloniale Aufarbeitung ein? 

VAD: Momentan kann in unserem Land das Erwachen eines Bewusstseins festgestellt werden, welches sich durch die Aktivität bestimmter Stiftungen wie doual’art und der Paul Ango Ela Stiftung bemerkbar macht. Mit der Unterstützung des Ministeriums für Kunst und Kultur (Ministère des Arts et de la Culture) bieten sie Seminare zur Sensibilisierung im Hinblick auf den Erhalt und der Aufwertung der ganzen Gebäude und Überbleibsel unserer (kolonialen) Vergangenheit an. Es sind aber vor allem die fehlenden finanziellen Mittel, die für den Staat die größte Bürde für eine Aufarbeitung und den Erhalt des kulturellen Erbes in der Stadt darstellen und diese Situation gefährdet das Überleben unseres geteilten Erbes. 

 

Weitere Literatur: 

Das Bundesarchiv 2018: Zwischen Bestandserhaltung und Bühnennebel – Deutsche Kolonialakten in Kamerun. Zugreifbar unter: https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Artikel/Ueber-uns/Aus-unserer-Arbeit/Textsammlung-Kamerun/kamerun.html?chapterId=38380

Das Bundesarchiv 2017: Findbuch Fonds Allemand (Fa). Verwaltung des Deutschen Schutzgebiets Kamerun. 2. überarbeitete Ausgabe mit Übersetzung, Zugreifbar unter: https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Downloads/Kamerun/verwaltung-deutsches-schutzgebiet.pdf?__blob=publicationFile.

Ngando Sandje, Rodrigue 2016: Le Traité Germano-Douala du 12 juillet 1884 : étude contemporaine sur la formation des contrats dans l’ordre juridique intemporel. In: Revue Québécoise de droit international, Vol. 29, No. 1., S. 131-159. Zugreifbar unter: https://www.persee.fr/docAsPDF/rqdi_0828-9999_2016_num_29_1_2231.pdf

Todzi, Kim Sebastian 2018: Hamburg’s First Globalization. In: Kokott, Jeanette und Takayanagi, Fumi (Hrg.): Erste Dinge. Rückblick für Ausblick/ First Things. Looking back to look forward. MARKK: Hamburg, S. 166-170.

 


Kaum ein Jahr ist so bezeichnend für den Anfang des deutschen Kolonialismus im afrikanischen Kontinent wie 1884. Mit dem Deutsch-Duala Schutzvertrag vom 12. Juli 1884 (Traité Germano-Douala du 12 juillet 1884), der zwischen den Repräsentanten der hamburgischen Firmen C. Woermann und Jantzen & Thormählen, Eduard Schmidt und Johannes Voss und den kamerunischen Königen Ndumbé Lobè Bell und Akwa Dika Mpondo u.a. unterschrieben wurde, wurde die Souveränität des Douala-Gebietes (sowohl die legislative Macht als auch die Verwaltungsmacht des Territoriums) auf die hamburgischen Firmen übertragen. Die zunehmende Verarmung der lokalen Bevölkerung folgte, da sie nun an die Könige und an die deutschen Firmen Kommerzsteuern (péages) zahlen mussten, um deren Produkte verkaufen zu können. Der 5. Punkt des Abkommens sah vor, dass die lokalen Bräuche und Kultur Kameruns nur bis zur Etablierung der deutschen Kolonialverwaltung respektiert werden mussten. Zwei Tage nach dem Unterschreiben des Schutzvertrages hisste Gustav Nachtigal die deutsche Flagge in Douala. Ein Denkmal in der Stadt erinnert noch heute an diesen Kolonialakt (TM).

Zum Beispiel wurde hier das Abkommen Akwa-Woermann (l’Accord Akwa-Woermann) vom 30. Januar 1883 geschlossen, der den Schutz des Eigentums und der Agenten der Woermann-Firma im Gebiet entlang des Flusses in der südlichen Region der Stadt Akwa sicherte (TM).

Für eine Beschreibung des Palasts hören Sie das kommende Interview für diese Reihe mit Meryem Choukri.  

Nach meiner Interpretation bezieht sich Herr Dickas Aussage auf die notwendige Übernahme von Verantwortung seitens des deutschen Staates bezüglich des deutschen Kolonialismus und seiner Folgen für Kamerun, aus der sowohl politische als auch ethische Konsequenzen abgeleitet werden sollten, um die postkolonialen Beziehungen zwischen den Ländern heute gerechterer zu gestalten (TM).   

Im französischen Original: „Nous savons tous que l’histoire d’une manière générale s’exprime mieux à travers les monuments et les édifices car ceux-ci marquent comme des empruntes physiques, les différentes périodes passées dans leurs différents contextes.“

6 „Zwischenhandel“ bezeichnet die spezifische ökonomische Position von afrikanischen sog. „Middlemen“, die Produkte (wie z.B. Palmöl) zwischen afrikanischen Produzenten und europäischen Kaufleuten handelten. Im vorkolonialen Zeiten besaßen die Mitglieder der Duala eine hegemoniale Position in dieser Form des Handels, die im Zuge der deutschen Kolonisierung Kameruns mithilfe des Vorwurfs eines Handelsmonopols zerstört werden sollte. Ich bedanke mich bei Kim Todzi für diese Anmerkung (TM).

Diese Beschreibung von Douala korrespondiert genau mit der Stadtplanung Hamburgs: Das Woermanhaus, welches den rassifizierten Name „Afrikahaus” trägt, ist nur einige Schritte zu Fuß von der Handelskammer der Hafenstadt entfernt (TM).

Für eine Beschreibung dieses Hauses siehe das Interview in dieser Reihe mit Andela Sylvie Bambona. Beachten Sie auch die frappierende geographische Nähe von bestimmten Orten der Wirtschaft in den Städten Douala und Hamburg, zu Orten, die männliche Sexualität markieren.