Die Stadt Umdenken_Repenser la ville_

Ein Projekt des Virtuellen Partizipationslabors Postkoloniales Erbe

Autorin: Tania Mancheno

Vom Sichtbaren und Unsichtbaren des Kolonialismus in der Stadt – Eine Audio-Spur zur Kolonialgeschichte der Speicherstadt

Die Geschichte von Hamburg ist asymmetrisch mit Städten und Regionen in Lateinamerika, Asien und Afrika kulturell und geschichtlich verflochten. Die Bedeutung des kolonialen Handels für die Stadt ist sowohl an alten Namensgebungen von Häusern (wie z. B. Afrikahaus, Asia Haus und Chilehaus), als auch an den Namen von neuen Straßen und öffentlichen Plätzen (Dar-Es-Salaam-Platz; Coffee Plaza; Überseequartier) zu erkennen. Jedoch sind die kolonialen Beziehungen, die Hamburg zu ihrem Reichtum verhalfen, in diesen überwiegend als romantische Begegnungen mit „dem exotischen Anderen“ gedeutet. Dadurch wird die koloniale Gewalt verschwiegen.

Die erste Audioaufnahme, die in der Reihe ReprÆsentationen veröffentlicht wird, behandelt die Kolonialgeschichte der Speicherstadt. Die erste Phase ihrer Errichtung fand zeitgleich mit der Berliner Konferenz statt (1885). Für das Bauprojekt wurden über 1000 Wohnhäuser abgerissen und ungefähr 20.000 Menschen enteignet und umgesiedelt. So entstand ein Stadtteil, der nicht für Menschen gemacht war, sondern für die Lagerung, Veredelung und Verarbeitung von Kolonialwaren wie Zucker, Tee, Gewürze, Kaffee- und Kakaobohnen. Innerhalb der Speicherstadt waren die  Ankünfte der Schiffe, und ihrer importierten Ressourcen, von jeder Zollkontrolle befreit.

An der Kornhausbrücke, die den Eingang in die Speicherstadt markiert, wurden 1887 Statuen der sogenannten Entdecker wie Christoph Kolumbus, Vasco da Gama und Marco Polo errichtet und somit deren Taten gewürdigt. Die Kolonisatoren werden individuell für die Eröffnung von Handelsrouten erinnert. Dagegen wird an nicht-europäische Menschen, die für die Produktion der Kolonialwaren ausgebeutet wurden, nicht gedacht. Nicht-europäische Gebiete werden als homogener und typisierter Raum, z.B. als „Überseehaus“ kartiert, oder sie werden auf die erzwungene Warenproduktion für europäischen Konsum reduziert, wie die Geschichte des Chilehauses, der Kakaospeicher, und später des sogenannten Orientteppichhandels zeigen.

Das ungleiche Andenken im Stadtteil zeigt, wie die Ausbeutungsgeschichte von den Kolonialwaren, die aus den drei Kontinenten (Asien, Afrika und Amerika) extrahiert wurden, von den Erinnerungslandschaften der Stadt entkoppelt wird.

Als 2016 die Speicherstadt den UNESCO Welterbe Titel erhielt, wurde eine erneute Demarkierung und eine neue Orientierung der Erinnerung dieses Stadtteiles unternommen. Diesmal waren es nicht die Kolonialwaren, sondern die globale Bedeutung der Stadt, die von Kolonialgeschichte und Verantwortung entkoppelt wurde.

Die akustische Intervention führt historische Materialien, überlieferte Erzählungen und subjektive Eindrücke zusammen, um eine Auseinandersetzung mit der Dialektik von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von kolonialen Strukturen und postkolonialen Fassaden in der städtischen Gegenwart Hamburgs anzustoßen. Somit lädt sie zur kritischen Auseinandersetzung mit den Erinnerungskulturen in der Stadt ein.

Die Audio-Spur ist im Rahmen des performativen Stadtrundganges Urban Bodies entstanden, welcher von Tania Mancheno und Yolanda Gutierrez für das Theater der Welt (Hamburg, 2017) konzipiert wurde.

Weitere Beteiligte:

Recherche und Stimmen: Tania Mancheno und Meryem Choukri

Sound und Aufnahmen: Katharina Pelosi

Das Foto zeigt den Blick von einer Straße/Brücke auf die Speicherstadt. Zwischen roten Backsteinfassaden ist ein Kanal zu sehen. Auf der Brücke stehen hinter einer Metallkonstruktion der Brücke mehrere menschen, die auf den Kanal blicken.

Stadtrundgang in der Speicherstadt, (c) Tania Mancheno

Das Foto zeigt einen mit Häusern gesäumten Kanal in der Speicherstadt.

Speicherstadt, (c) Jürgen Zimmerer

Das Foto zeigt die Kolumbusstatue in der Speicherstadt. Die Statue aus Stein zeigt einen Mann auf einem Sockel und befindet sich an einer Brücke. Um die Statue steht eine Menschenmenge, es ist ein Banner mit der Aufschrift: "Kolonialsymbol[e] stürzen" zu sehen.

Lokaler Protest im Rahmen der weltweiten BLM-Bewegung, (c) Tania Mancheno