Die Stadt Umdenken_Repenser la ville_
Ein Projekt des Virtuellen Partizipationslabors Postkoloniales Erbe
Autorin: Tania Mancheno
Vom Sichtbaren und Unsichtbaren des Kolonialismus in der Stadt – Eine Audio-Spur zur Kolonialgeschichte des Chilehaus
Ergänzend zur Audio-Spur über die Kolonialgeschichte der Speicherstadt, die letzte Woche in dieser Interviewreihe ReprÆsentationen veröffentlicht wurde, beschäftigt sich die zweite Audio-Spur, die hier zugänglich ist, mit der Kolonialgeschichte des Chilehaus. Zusammen mit der Speicherstadt ist das Haus seit 2016 Bestandteil des UNESCO Welterbes.
Vor fast einem Jahrhundert errichtet, ist die Bedeutung dieses Hauses für die Stadt mit den Dimensionen der Elbphilharmonie vergleichbar, denn beide Häuser sind wichtige Orientierungspunkte in den hamburgischen Landschaften. Mit dem Chilehaus bekam Hamburg auch damals ein neues Wahrzeichen. Gebaut in Form eines Schiffes bringen beide Häuser das von der Stadt zum Symbol gewählte Element zum Ausdruck.
Die wichtigen Unterschiede liegen einerseits in der Finanzierung und Bauzeit der Häuser und anderseits in der jeweiligen ökonomischen und kulturellen Funktion für die Stadt. Anders als die Elbphilharmonie, die mit öffentlichen Geldern finanziert wurde, wurde der zügige Bau des privaten Chilehauses (1923-4) von einer einzigen Person bezahlt: dem hamburgischen Kaufmann Henry Sloman.
Innerhalb eines Jahres errichtet, ist das Chilehaus das prominenteste Kontorhaus der Speicherstadt. Darüber hinaus verbirgt das Haus die Geschichte der deutschen kolonialen Expansion jenseits der sogenannten Schutzgebiete. Sowohl in ihrer Namensgebung als auch in ihrer Gestalt verweist das Chilehaus auf den Kolonialhandel mit Salpeterminen in der Atacamawüste. Diese bildeten die Hauptquelle von Slomans Vermögen und begründeten einen wichtigen Anteil des Reichtums von Hamburg.
Die Bedeutung der Seemacht in Hamburg, welche mit der bürgerlich-urbanen Entwicklung einherging, schaffte seit Beginn der Neuzeit die Voraussetzung für die deutsche Kolonialexpansion. Im Gegensatz zum spanischen und französischen Kolonialismus waren es im Fall des deutschen Reiches und später Deutschlands häufig einzelne Unternehmer, die irreführend als Pioniere der sogenannten Entdeckungsreisen auftraten.
Das Motiv des Schiffes, das sich in Hamburg in der Architektur der Häuser und als Ornament auf deren Fassaden immer wieder finden lässt, versteinert ein Narrativ, welches Reedereifamilien und Plantagenbesitzer als lokale Vorbilder darstellt.
Die Audio-Spur zur Kolonialgeschichte des Chilehauses setzt sich mit dem Symbol des Schiffes auseinander und ergänzt dessen Bedeutung mit der Geschichte des Extraktivismus: Seit dem 15. Jahrhundert basierte die Ökonomie der lateinamerikanischen Länder auf der Ausbeutung von Ressourcen in Plantagen und Minen, deren Nutzung im Lauf der Geschichte maßgeblich zum Wohlstand im globalen Norden beigetragen hat. Die Verflechtungen zwischen Reisefreiheit (aus dem Norden in den Süden) und Extraktivismus (aus dem Süden für den Norden), die zentral für das tiefe Verständnis der Globalisierung aber auch des Klimawandels sind, werden anhand des Chilehauses erläutert. Somit bildet das Chilehaus einen weiteren Repräsentationsort der Erinnerungskultur und der kolonialen Amnesie in den urbanen Landschaften der Stadt, die in dieser Interviewreihe kartiert wurden.
Die Audio-Spur ist im Rahmen des performativen Stadtrundganges Urban Bodies entstanden, welcher von Tania Mancheno und Yolanda Gutierrez für das Theater der Welt (Hamburg, 2017) konzipiert wurde. Die akustische Intervention führt historische Materialien, überlieferte Erzählungen und subjektive Eindrücke zusammen, um eine Auseinandersetzung mit der Dialektik von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von kolonialen Strukturen und postkolonialen Fassaden in der städtischen Gegenwart Hamburgs, anzustoßen.
Weitere Beteiligte in der Erstellung der Audio-Spur:
Recherche und Stimme: Tania Mancheno
Sound und Aufnahmen: Katharina Pelosi
Empfohlene Lektüre & Links:
Grupo Etcétera 2015: Neo Extraktivismus. Kunstinstallation und -intervention am Innenhof des Chilehaus. In: Stadtkuratorin Hamburg. Zugreifbar unter: http://archiv.stadtkuratorin-hamburg.de/en/curating/neo-extraktivismus/
Mancheno, Tania 2015: „‚All Change, Please!‘ Über die Un-/Möglichkeiten der Dekolonialisierung des öffentlichen Raumes in Hamburg“. In: ZAG, Anti-Rassistische-Zeitschrift, N. 70/2015, S. 27-29.
Mancheno, Tania 2016: „Das koloniale Erbe in der HafenCity.“ Vorlesung im Rahmen der Vorlesungsreihe: Hamburgs Tor zur kolonialen Welt. Historisches Institut, Universität Hamburg. Abrufbar unter: https://lecture2go.uni-hamburg.de/l2go/-/get/v/19620
Mancheno, Tania und Gutierrez Yolanda 2017: URBAN BODIES PROJECT. Performativer Rundgang von der Speicherstadt in die HafenCity. Verfügbar unter: http://www.yolandagutierrez.de/files/index_submenuL.php?seite=3&folge=78&bild=3&alt=3
Todzi, Kim Sebastian 2018: Hamburgs erste Globalisierung. In: Kokott, Jeanette und Takayanagi, Fumi: Erste Dinge. Rückblick für Ausblick / First Things. Looking back to look forward. Hamburg, S. 21-25.