Wie arbeitete Deutschland seine genozidale Vergangenheit auf? Dieser Frage widmet sich ein Interview von kultur-kino-bildung.de mit Prof. Dr. Jürgen Zimmerer. Für die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg betont er die weit verbreitete Ablehnung der NS-Aufarbeitung: Prozesse über Kriegsverbrechen und Holocaust wurden in großen Teilen der Bevölkerung „als ‚Siegerjustiz‘ diffamiert“; Nationalsozialisten, die ihre Karrieren fortsetzen konnten, hätten einen kritischen Umgang blockiert. Über Jahrzehnte hinweg sei eine Entwicklung des Umgangs mit dem Holocaust zu beobachten, so Zimmerer weiter, die einerseits ein Prozess gewesen sei, andererseits bis heute wichtige Meilensteine wie Reden von der Bundespräsidenten Weizsäcker und zuletzt Steinmeier aufweise. Gleichzeitig hätten rechtsextreme Ideologien in der Bundesrepublik nie völlig an Bedeutung verloren.
Mit Bezug auf die aktuelle Debatte um die Kontinuitäten von kolonialen Genoziden zum Holocaust weist Zimmerer darauf hin, dass die nationalsozialistische Darstellung Osteuropas als Kolonialland für das Verständnis des „Zivilisationsbruchs“ von Bedeutung sei: „Koloniale Landnahme, Raub und Verdrängung galten aber als ‚normal‘, als etwas, was alle Europäer*innen machten.“ Bezüglich des Genozids an Herero und Nama mit dem Versuch, einen ‚Rassenstaat‘ zu errichten, sei deswegen nach „Verbindungslinien“ zu fragen. In diesem Zusammenhang verwahrt sich Zimmerer gegen „eine Verzerrung, die Kontinuität und strukturelle Ähnlichkeit mit Kausalität verwechselt“. Eine vergleichende Perspektive erlaube ein besseres Verständnis des Holocaust, „vor der Folie des Allgemeinen kann dann auch die Frage nach dem Singulären etwa des Holocaust gestellt werden“.
Zum Interview: https://www.kultur-kino-bildung.de/ein-genozid-vor-dem-genozid/