Von Kim Todzi

Es gibt wohl kaum ein treffenderes Symbol für die traditionell enge Beziehung zwischen Wirtschaft und Politik in Hamburg als die räumliche Nähe von Rathaus und Handelskammer, die seit 1906 sogar baulich miteinander verbunden sind. Politik war in Hamburg »ihrer Natur und ihren Zielen entsprechend im wesentlichen Wirtschaftspolitik«[1], resümierte der Historiker und Sekretär der Handelskammer Ernst Baasch Anfang des 20. Jahrhunderts die herausragende Stellung der politischen Ökonomie in der Hansestadt.

Die Handelskammer ist aber nicht nur ein weithin sichtbares Zeichen der Bedeutung, die die Wirtschaft im gesellschaftlichen Leben Hamburgs einnimmt, sondern zugleich ein bedeutender (post-)kolonialer Erinnerungsort. Eine im Juli 1883 veröffentlichte Denkschrift der Hamburger Handelskammer – selbst ein Erinnerungsort im Erinnerungsort – zu deutschen Wirtschaftsinteressen in Westafrika wurde zu einem Schlüsseldokument der Kolonialreichsgründung. Die Kolonialpropaganda und die „Phantasiereiche“ der Kolonialbewegung verband die Handelskammer in diesem Dokument mit einer Haltung des ökonomischen Pragmatismus. Regionaler Sachverstand und gelebte Praxis des Handels außerhalb Europas wurden zu Distinktionsmerkmalen der hanseatischen Koloniallobby im Verhältnis zu den lauter werdenden Stimmen der neuen Kolonialbewegung. Indem die Handelskammer in ihrer Denkschrift praktische und erreichbare Ziele der kolonialen Expansion formulierte, bekamen die lange Zeit im Allgemeinen verharrenden kolonialen Ambitionen bürgerlicher Kreise eine konkrete politische Zielrichtung. Zugleich lieferte die Denkschrift Reichskanzler Bismarck hinreichende Gründe für dessen politischen Kurswechsel in Fragen der überseeischen Kolonialpolitik. Die Bedeutung der Handelskammer als postkolonialer Erinnerungsort reicht jedoch weit über die Errichtung eines formalen deutschen Kolonialreichs hinaus. Zwar galten Freihandel und Imperialismus lange Zeit als gegensätzliche politische Doktrinen, doch schlossen sie sich keineswegs aus und auch eine wirtschaftsliberale Politik beinhaltete keine zwangsläufige Ablehnung des Kolonialismus an sich.

Mehr Informationen zur Rolle und Bedeutung der Handelskammer als postkolonialer Erinnerungsort finden Sie in „Hamburg: Tor zur kolonialen Welt. Erinnerungsorte der (post-)kolonialen Globalisierung“.


[1] Ernst Baasch: Die Handelskammer zu Hamburg 1665-1915. Bd. 1: 1665-1814, Hamburg 1915, S. 16-17.