In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 2022 (Bd. 108) erschien eine ressentimentgeladene Rezension Jakob Anderhandts, die mich und meine wissenschaftliche Arbeit verleumdet, offenbar mit dem Ziel, eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit dem (deutschen) Kolonialismus zu behindern.

Es geht dabei um den von Jürgen Zimmerer und mir herausgegebenen Sammelband „Hamburg: Tor zur kolonialen Welt. Erinnerungsorte der (post-)kolonialen Globalisierung“ (Wallstein 2021) und namentlich die Beiträge „Der Imperialismus des Freihandels. Die Handelskammer Hamburg als (post-)kolonialer Erinnerungsort“ von mir und „Bismarck in Hamburg. Deutschlands höchstes Kolonialdenkmal“, den ich gemeinsam mit Jürgen Zimmerer verfasst habe.

Anderhandt legt mir, mit einem Verweis auf einen Bericht in der Süddeutschen Zeitung, eine Aussage verzerrend in den Mund, um daraus folgernd eine Interpretation des rezensierten Buches zu destillieren. Eine Aussage wohlgemerkt, die sich erstens auf einen ganz anderen Kontext bezieht und die zweitens nur eine Interpretation der Autorin des Zeitungsartikels darstellt, keine wörtliche Aussage von mir. Dass einem Schriftsteller, der wissenschaftlich arbeitenden Historikern Unwissenschaftlichkeit vorwirft, bei diesem vermeintlichen Zitat nicht einmal die fehlenden Anführungszeichen auffallen, die wörtliche Rede sonst kennzeichnen, was zum Einmaleins wissenschaftlicher Arbeit gehört, ist nur die Spitze des Eisbergs.

Diese Unredlichkeit steht stellvertretend für viele weitere Ungenauigkeiten, Fehler und Verzerrungen des Rezensenten. Anstatt sich inhaltlich mit der These meines Aufsatzes zur Handelskammer zu befassen oder sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, schreibt Anderhandt, was er viel lieber in so einem Aufsatz gelesen hätte. Auf eigene Weise grotesk wird dies in dem Moment, als er aus dem Aufsatz wörtlich zitiert, dass die prokoloniale Fraktion in der Handelskammer einer „‚kleine[n] Gruppe Hamburger Kaufleute‘“ entsprang, um daraufhin zu behaupten, dass diese Erkenntnis ja nur „zwischen den Zeilen“ durchscheine. Damit unterstellt er mir das bewusste Weglassen von Informationen, die vermeintlich eine andere Interpretation stützten. Dabei habe ich diesen Umstand weder bestritten noch verschwiegen. Im Gegenteil: In dem Beitrag sind mehrere Absätze der Debatte innerhalb der Handelskammer gewidmet, in denen auch die Gründe für die ablehnende Haltung einiger Kaufleute zitiert werden. Darüber erfahren die Leser:innen der Rezension nichts.

Vollends absurd wird es, wenn Anderhandt die Handelskammer zum Ort des „Widerstands gegen die deutsche koloniale Expansion“ verklärt. In dieser Pauschalität ist dies eine so verzerrte Beschreibung, dass sie jeder ernsthaften Auseinandersetzung spottet. Denn spätestens mit der von der Handelskammer herausgegebenen Denkschrift an die Reichsregierung vom 6. Juli 1883 forderte das Handelskammerplenum – und mit 14 zu 2 Stimmen die überwältigende Mehrheit (!) der in ihr vertretenen Kaufleute[1] – die Annexion von Kolonien in Westafrika. Wie es zu dieser Entscheidung kam, welche Personen mit welchen Argumenten dafür oder dagegen sprachen, all das lässt sich im Beitrag selbst nachlesen. Der Beitrag ist Ergebnis einer genauen quellenkritischen Analyse und der Interpretation dieser Erkenntnisse durch ihre theoretische und historiografische Einbettung – geschichtswissenschaftlicher Standard. Die darauf basierende Interpretation kann man hinterfragen und kritisieren, aber wie Anderhandt zu behaupten, dies liege außerhalb „einer seriösen historischen Forschung“, ist pure Verleumdung.

Zynisch wird der Vorwurf der unseriösen Forschung in dem Moment, in dem klar wird, dass es dem Rezensenten scheinbar um eine Rehabilitierung des Kolonialismus geht. Statt nach wissenschaftlichen Standards angefertigte, differenziert argumentierende Beiträge, die unter anderem Ausbeutung, „Völkerschauen“ und kolonialen Genozid thematisieren, zu lesen, hätte sich Anderhandt eine sehr viel positivere Beschreibung des Kolonialismus gewünscht. Anders lässt sich seine an Kolonialapologetik grenzende Aussage nicht erklären, Autor:innen des Bandes hätten das „unwillkommene Machtgefälle“ des Kolonialismus gegenüber den „positive[n] Folgen kolonialer Herrschaft für die Kolonisierten“ zu pauschal betont.

Dass sich Anderhandt offenbar kaum mit der neueren Forschungsliteratur zum Kolonialismus auseinandergesetzt hat – sonst würde er nicht Kolonialismus auf formale Kolonialherrschaft reduzieren – hindert ihn freilich nicht daran, apodiktisch über Autor:innen und Herausgeber zu urteilen. Doch selbst ohne Kenntnis des Forschungsstandes sollte es einem Rezensenten möglich sein, zumindest den argumentativen Kern eines Aufsatzes zu erfassen und ihn – wenn er den Ansprüchen einer wissenschaftlichen Rezension genügen will – auch widerzugeben. Doch so verzerrend wie Anderhandts Urteil über den Handelskammer-Aufsatz ist, so falsch und am Argument des Artikels vorbei ist seine Einschätzung des Beitrags zum Bismarck-Denkmal. Statt sich mit den vorgebrachten Argumenten und Belegen zu befassen, schreibt Anderhandt erneut, was er sich wohl gewünscht hätte, dass in dem Aufsatz stünde. Dadurch erfahren Leser:innen der Rezension nicht, dass Bismarck – welche persönliche Meinung zu welchem Zeitpunkt auch immer er hatte – politisch für die Kolonialreichsgründung verantwortlich war und dass das Bismarck-Denkmal von eben jenen kolonialen Kaufleuten wie Adolph Woermann gestiftet wurde, die Anderhandt als eigentlich Verantwortliche der Kolonialreichsgründung ausmacht.

Dabei ist der von Anderhandt konstatierte Umstand, dass die „Übersee-Kaufleute wie Adolph Woermann […] die einverleibten Gebiete zu Zeiten Bismarcks als Kanzler auch verwalteten“ in dieser Pauschalität schlichtweg falsch. Zwar wünschte sich Bismarck ein solches Modell der Chartered Companies etwa auch für die deutsche Kolonie Kamerun, doch scheiterte sein Versuch den Hamburgern Kaufleuten die Verwaltung und damit auch die Finanzierung der Kolonie mithilfe eines eigens geschaffenen „Syndikats für Westafrika“ zu übertragen am Widerstand eben jenes Adolph Woermann, der den Aufbau einer Kolonialverwaltung durch das Reich erzwang.[2]

In der Summe all dieser Fehler und Verzerrungen ergibt sich aus der Rezension das Bild eines durch und durch voreingenommenen Rezensenten, dessen Urteil anscheinend bereits vor der Lektüre des Werkes feststand. Wie eine solche Rezension, in der sogar aus unserem Sammelband eine „Monografie“ wurde, die Qualitätssicherungsprozesse einer so traditionsreichen Zeitschrift wie der „Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte“ passieren konnte, bleibt ein Rätsel.

Kim Todzi,

Hamburg, im Dezember 2022

Dazu auch: https://kolonialismus.blogs.uni-hamburg.de/2022/12/09/in-eigener-sache-die-positiven-folgen-kolonialer-herrschaft-fuer-die-kolonisierten-bleiben-ausgeblendet-kolonialnostalgie-in-der-zeitschrift-des-vereins-fuer-hamburgische-geschic/


[1] Hanseatisches Wirtschaftsarchiv S 599, Gesammelte Protokolle der Handelskammer 1883, Bl. 236.

[2] Washausen, Helmut: Hamburg und die Kolonialpolitik des Deutschen Reiches. 1880 bis 1890, Hamburg 1968, S. 121-127. Ausführlich dazu auch bald: Todzi, Kim Sebastian: Unternehmen Weltaneignung. Der Woermann-Konzern und der deutsche Kolonialismus 1837-1916, Göttingen 2023.