Von Stefanie Affeldt

Vor rund 150 Jahren verließ sie nach zehnjährigem Aufenthalt Queensland und erreichte den Hamburger Hafen mit zwei Adlern im Gepäck. Amalie Dietrich war eine der »wissenschaftlichen Sendlinge«, die im Auftrage des Hamburger Kaufmann Johan Cesar VI. Godeffroy als Forschungsreisende in die südliche Hemisphäre aufbrachen. Durch ihren Arbeitgeber wurde die bereits als Botanikerin bekannte Frau in unmittelbaren Kontakt mit dem Kolonialismus gebracht. Für dessen Museum übersendete sie, neben Spezimina der lokalen Fauna und Flora, auch Waffen, Geräte und andere Manufakte sowie die sterblichen Überreste von mindestens elf indigenen Australier*innen. Gemäß dem anthropologischen Jargon wurden auch letztere ›gesammelt‹ – tatsächlich wurde ihre Beschaffung bereits damals als Störung der Totenruhe und Schändung von Leichnamen problematisiert.

Als Hamburger Erinnerungsort des globalen Kolonialismus muss Amalie Dietrich in ihrer Vielschichtigkeit betrachtet werden. Ihr Name ist in der biologischen Nomenklatur zahlreicher Pflanzen (und einiger Tiere) eingeschrieben und wird in geographischen Orten und Gebäuden in Hamburg und der Welt erinnert. Aber Dietrichs Bild ist mehrfach gebrochen. Ihre Biografie lief den zeitgenössischen Vorstellungen des Frauseins zuwider. In Erzählungen und Sachtexten tritt sie als abenteuerliche Entdeckerin, unerschrockene Frau, tatkräftige Proletarierin oder skrupellose Leichenräuberin auf. Dabei war sie praxisnahe mit der Anthropologie beschäftigt, die sich erst zu dieser Zeit als Wissenschaft konstituierte. Mit ihrer naturwissenschaftlichen Sammlung bereicherte sie das europäische Wissen zur australischen Botanik in einem System, dem es sowohl um wissenschaftliches Katalogisieren als auch um ökonomische Aneignung geht. Die Erinnerung an sie muss somit um den zeitgenössischen kolonialen Kontext und die sich daraus bis heute ergebene Folgen ergänzt werden.

Denn während im Gedenken an Amalie Dietrich eine individuelle Person im Mittelpunkt steht, erlitten die von ihr in der Totenruhe gestörten indigenen Australier*innen nicht nur den biologischen sondern auch einen sozialen Tod. Als anonyme Vertreter*innen ihrer ›Rasse‹ wurde ihnen jegliche Individualität genommen. Anders als an Dietrich erinnern an sie meist nur verallgemeinernde Gedenksteine. Im Falle der Skelette und Schädel der von ihr nach Hamburg indigenen Australier*innen ist nicht einmal dies möglich. Zur Auflösung des Museums Godeffroy nach Leipzig verkauft, verbrannten sie dort im Zweiten Weltkrieg. Den Nachfolger*innen der Rassenwissenschaftler*innen kommt das zupass: sie gehen ohnehin davon aus, dass »aus physisch-anthropologischer Sicht« ein ›Verblassen der Erinnerung‹ nach »etwas 125 Jahren« stattfindet. Dass dies nur eine Verteidigungsstrategie gegenüber legitimen Rückgabeforderungen seitens der Nachkommen der geraubten Australier*innen ist, liegt auf der Hand.

Mehr zum Thema finden Sie im Band: Hamburg: Tor zur kolonialen Welt. Erinnerungsorte der (post-)kolonialen Globalisierung