von Lars Amenda
Am 18. Juni 2021 verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig den 6000. Stolperstein für ein Opfer des NS-Terrors in Hamburg. Anlass bildete das Gedenken an 13 weitere, namentlich bekannte chinesische Opfer, für die im Beisein des chinesischen Generalkonsuls Du Xiaohui und des Hamburger Kultursenators Carsten Brosda Stolpersteine an der Ecke Schmuckstraße/Talstraße in den Boden eingelassen wurden. In direkter Nähe zu einer vom St. Pauli-Archiv initiierten Gedenktafel erinnern die Stolpersteine an die „Chinesenaktion“ der Gestapo vom 13. Mai 1944. Gestapo und Polizei verhafteten an jenem Tag 129 chinesische Männer und misshandelten sie über Monate schwer. Nachweisbar 17 chinesische Gefangene starben an der brutalen Gewalt und den katastrophalen Bedingungen u. a. im „Arbeitserziehungslager Wilhelmsburg“.
Der staatliche Rassismus setzte aber nicht erst 1933 gegenüber der kleinen chinesischen Community in Hamburg-St. Pauli ein. Bereits 1925 hatte die Hamburger Polizei die Verschärfung des Hafengesetzes erwirkt. Vor dem Landgang von Seeleuten musste nun der Polizei eine Liste mit allen Besatzungsmitgliedern vorgelegt werden. Die rassistische Stoßrichtung des neuen Hafengesetzes verrät ein damals kursierender Handzettel: „Farbige sind als solche zu bezeichnen!“
Mitte der 1920er Jahre bildete sich ein „Chinesenviertel“, wie es von der Hamburger Bevölkerung bezeichnet wurde, das selbst im international geprägten St. Pauli große Aufmerksamkeit erregte. Die Hamburger Polizei versuchte mit Massenausweisungen die in ihren Augen unerwünschte chinesische Einwanderung zu unterbinden. Den Hintergrund für die chinesische Präsenz und (die damals ausnahmslos männliche) Migration bildete die Schifffahrt. Seit 1889 beschäftigten deutsche und Hamburger Reedereien chinesische Seeleute aus der Umgebung Hongkongs als Heizer und Kohlenzieher (Trimmer) auf ihren Dampfschiffen. Während des Kaiserreichs errichtete die Hamburger Polizei ein koloniales Hafenregime, mit dem Kontakte von Seeleuten of Color reduziert und eine Einwanderung gänzlich verhindert werden sollte. Der koloniale Rassismus verband sich in Hamburg zudem mit einem nach der Choleraepidemie 1892 wirkmächtigen Hygiene-Diskus.
Trotz aller historischer Unterschiede sind Kontinuitäten des kolonialen Rassismus bis zur nationalsozialistischen Verfolgung nicht zu übersehen. Nach 1945 versuchten chinesische Verfolgte eine Anerkennung der rassistischen Verfolgung zu erhalten – jedoch ohne Erfolg. So entwickelte sich die für die Überlebenden traumatische „Chinesenaktion“ zum Tabu-Thema. Erst seit seit den 1980er Jahren nahmen sich Journalist:innen und Historiker:innen des Themas an und konnten die Hintergründe des post-kolonialen Erinnerungsortes des „Chinesenviertels“ zunehmend aufklären. In neuerer Zeit wurde das Thema auch in Spiel- und Dokumentarfilmen aufgriffen und erreichte damit eine größere Öffentlichkeit. Der Weg zur Erinnerung war lang.
Mehr zum Thema im Sammelband: „Hamburg: Tor zur kolonialen Welt. Erinnerungsorte der (post-)kolonialen Globalisierung“.