2024 ist ein ereignisreiches Jahr für die Frage des Umgangs mit dem kolonialen Erbe. Zum 140. Mal jährt sich die Gründung der deutschen Kolonien in Afrika, zum 140. Mal jährt sich die Berliner Afrika-Konferenz, die Bismarck einberief, um den Eintritt des Deutschen Reiches in den Kreis der Kolonialmächte international abzusichern, und die ihn zum Ahnherrn der Aufteilung Afrikas machte.
Bei all diesen Ereignissen, wie im deutschen Kolonialismus insgesamt, spielt Hamburg eine herausgehobene Rolle. Hamburger Kaufleute hatten von Bismarck erfolgreich gefordert, das Deutsche Reich zum Kolonialreich zu machen, und anschließend tatkräftig daran mitgewirkt, es Wirklichkeit werden zu lassen. Durch Hamburger Reeder wurde die Hafenstadt zur logistischen Drehscheibe des Genozids. Aus dem Kolonialinstitut ging die Universität Hamburg hervor. In Hamburger Kliniken, Bibliotheken und Sammlungen finden sich zuhauf problematische Objekte aus kolonialen Kontexten.
Zum zehnten Mal jährt sich 2024 zugleich die Drucksache des Hamburger Senats zum kolonialen Erbe, mit der dieser ein gesamtstädtisches Erinnerungskonzept ankündigte und die Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ einrichtete. Damit war Hamburg die erste deutsche Metropole, die sich der kritischen Aufarbeitung der eigenen Kolonialgeschichte widmete, und die einzige, die einen Schwerpunkt auf wissenschaftliche Grundlagenforschung richtete.
Im Jahr 2024 allerdings, so scheint es, steht all dies zur Disposition. Bismarcks große Statue in Hamburg wurde bis 2023 für 11 Millionen Euro renoviert und erstrahlt im alten Glanz, die Konturen einer dekolonialen Aufarbeitung sind nicht abzusehen. Nirgendwo im Hamburger Stadtbild wird etwa des Genozids an den Herero und Nama gedacht, der sich 2024 zum 120. Mal jährt: Am Baakenhafen, der logistischen Drehscheibe für den Völkermord, entstehen Wohnungen, an den Krieg erinnerts nichts. Das gesamtstädtische Erinnerungskonzept steht noch aus und die Finanzierung der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ droht Ende 2024 auszulaufen. Die Gegner*innen einer dekolonialen Aufarbeitung formieren sich, werden stärker: in der Stadt, in Deutschland, ja weltweit. Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen.
Die Konferenz „1884 – 2014 – 2024: Bismarck, Hamburg und die Zukunft des kolonialen Erbes“ nimmt deshalb den 140. Jahrestag der Eröffnung der Berliner Afrikakonferenz am 15. November 2024 zum Anlass, den Blick auf die Verknüpfung des Lokalen mit dem Nationalen und dem Globalen zu lenken. Sie möchte eine Gelegenheit bieten, den aktuellen Stand der Aufarbeitung und Vermittlung des kolonialen Erbes in Hamburg und darüber hinaus vorzustellen, über Herausforderungen und Chancen zu diskutieren und über Wege zur Dekolonisierung nachzudenken.
Die Konferenz versteht sich als Plattform für einen interdisziplinären Austausch über verschiedene Aspekte des Kolonialismus, dessen Erbe und den Stand der Aufarbeitung in Deutschland. Wir laden Forscher*innen aus den Bereichen Geschichte, Soziologie, Literatur- und Kulturwissenschaften dazu ein, Vorschläge für Beiträge einzureichen.
Mögliche Themen und Kontexte könnten Bismarcks Bedeutung für den Kolonialismus und dessen Erinnerung, Hamburgs als Hafenstadt in der kolonialen Globalisierung, die Aufarbeitung der kolonialen Geschichte in Hamburg und darüber hinaus sowie vergleichende Perspektiven sein. Dabei interessieren uns insbesondere Vergleiche unterschiedlicher Städte und Regionen sowie translokale und transnationale Ansätze zur postkolonialen Erinnerungskultur. Zu möglichen Themen gehören etwa:
- Bismarck und der Kolonialismus
- Bismarck global erinnert
- Das Auswärtige Amt und die Gewaltgeschichte des deutschen Kolonialismus
- Hafenstädte als Knotenpunkte der kolonialen Globalisierung
- Hamburg und seine Institutionen und der Kolonialismus
- Umgang mit Objekten aus kolonialen Kontexten
- Erinnerungskulturen regional und national
- Erinnerungskulturen in den ehemaligen Kolonien
- Lokale und regionale Initiativen zur Aufarbeitung des kolonialen Erbes
- Denkmäler und koloniale Gedächtnislandschaften
- Leerstellen der (post-)kolonialen Erinnerung
Abstracts von etwa 300 Wörtern mit je einem einseitigen Lebenslauf werden bis zum 15. April 2024 an kolonialismus@uni-hamburg.de erbeten. Es stehen begrenzte Mittel zur Unterstützung von Reisekosten und Unterkunft für angenommene Beiträge zur Verfügung.