Frage: Die Zeit deutscher kolonialer Besitzungen liegt schon 100 Jahre zurück, wurde bislang aber kaum kritisch betrachtet bzw. wissenschaftlich aufgebarbeitet. Woran liegt das, im speziellen auch in Hamburg?

Jürgen Zimmerer: Das liegt zum einen daran, dass Deutschland seine Kolonien früher verloren hat als andere europäische Mächte. Damit blieben Deutschland die antikolonialen Konflikte nach 1945 erspart, was mit dazu beitrug, dass die Kolonialherrschaft vergessen wurde, und man insbesondere ihre besonders dunklen Seite verdrängte. Wenn erinnert, wurde Kolonialismus nostalgisch verklärt und verherrlicht. Zum anderen liegt es daran, dass kritische Wissenschaft und Öffentlichkeit mit der Bewältigung der jüngsten Geschichte, also der Verbrechen des Dritten Reiches, dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust beschäftigt waren.

Frage: Welche Elemente eines Erinnerungskonzeptes halten Sie bei der Aufarbeitung für besonders wichtig?

Jürgen Zimmerer: Elemente, die eine breite (zivil-)gesellschaftliche Diskussion erlauben und fördern, und auch in Schulen etc. Eingang finden. Diese Elemente müssen ihrerseits in einer breiten Diskussion aller beteiligten und interessierten Gruppen und Institutionen  erarbeitet werden und die Perspektive der Opfer und ihrer Nachkommen ebenso berücksichtigen wie die der Täter.

Frage: Welche Veränderungen soll die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit bringen? Inwieweit halten Sie diese Veränderungen für realistisch in einer rassistisch sozialisierten Gesellschaft? Glauben Sie, dass die Menschen die Angebote annehmen?

Jürgen Zimmerer: Natürlich wird es Leute geben, die man nicht erreichen kann. Ich denke aber, dass eine Aufklärung der Bevölkerung, besonders auch der jungen Menschen, über koloniale Verbrechen, allen vor Augen führt, welche menschenverachtenden Konsequenzen Rassismus hatte und hat. Der koloniale Blick, der die Welt in Kolonisierer und Kolonisierte, in „Zivilisierte“ und „Wilde“, in „Kultivierte“ und „Primitive“ einteilt, ist ja kein reines Phänomen der Vergangenheit. Dieses Muster findet sich ja heute noch, und zwar sowohl in transnationaler als auch in deutscher Perspektive. Eine kritische Aufarbeitung besitzt hier sicherlich auch aufklärerische Wirkung.

Frage: Sie arbeiten die Grundlagen für das Erinnerungskonzept wissenschaftlich auf, was genau tun sie konkret, an was forschen Sie im Moment, was ist geplant?

Jürgen Zimmerer: Wir versuchen gerade ausgewählte Erinnerungsorte zu erarbeiten, und sie sowohl in der Stadt- als auch in der Globalgeschichte zu kontextualisieren, d.h. zu erklären, wofür sie standen und stehen.

Frage: Wie soll zum Beispiel mit Denkmälern umgegangen werden, die kolonialen Akteuren huldigen? Bedarf es immer einer Einzelfallentscheidung? Kann etwa ein Hinweisschild ein Umdenken fördern, oder füttert das Fortbestehen von Denkmälern, Straßennamen etc. nicht nur die bestehenden Vorstellungen?

Jürgen Zimmerer: Das ist eine schwierige Frage, die nur im Dialog mit unterschiedlichen Gruppen beantwortet werden kann. Wir arbeiten daran, dass die nötigen wissenschaftlichen Informationen bereitgestellt werden, damit sich alle ein Bild machen können, wofür bestimmte Straßennamen oder Denkmäler stehen. Ob dann ein Schild reicht, muss im Einzelfall geklärt werden. Sicher ist jedoch, dass es ohne Schild, ohne Aufklärung nicht geht.

Frage: Beziehen Sie für Ihre Arbeit und auch den Diskurs, wie mit Relikten umgegangen werden soll, auch Gruppen ein, wie etwa den Arbeitskreis Hamburg Postkolonial oder die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, die schon konkrete Ergebnisse wie etwas Straßennamen aufgearbeitet haben, in Ihre Arbeit ein?

Jürgen Zimmerer: Wir suchen generell den Dialog mit allen Beteiligten Gruppen und beziehen bereits erarbeitete Ergebnisse selbstverständlich in unsere Arbeit ein, wie wir auch hoffen, dass unsere Ergebnisse breit rezipiert werden.

Frage: Wie sieht die Kooperation mit der Universität in Dar es Salaam aus? Gibt es dort schon einen Austausch?

Jürgen Zimmerer: Die Senatsbeschluss zur Einrichtung der Forschungsstelle hatte ja auch zwei Promotionsstipendien vorgesehen, wobei eines für einen Kollegen/eine Kollegin aus Dar es Salaam reserviert war. Dieser Kollege wird am 1.10 2015 hier seine Forschungen aufnehmen, und uns so eine unmittelbar tansanische Perspektive auf unsere Arbeit erlauben

Frage: Kann man sagen, dass Hamburg von der deutschen Kolonialzeit profitiert hat, obwohl diese insgesamt eher ein Verlustgeschäft für Deutschland war?

Jürgen Zimmerer: Zweifellos hat Hamburg vom Kolonialismus profitiert, und nicht nur vom deutschen. Die Welt, zur der Hamburg Deutschlands Tor war, war über 500 Jahren eine koloniale. Man handelte mit Kolonien, ehemaligen Kolonien oder Kolonialmächten, man transportierte Menschen in die Kolonien und importierte Kolonialwaren. Das betrifft aber nicht nur Hamburg, denn wie gesagt, in vielen Dingen profitierte ganz Deutschland vom globalen Kolonialismus, wenn auch das deutsche Kolonialreich die darin gesetzten Erwartungen nicht erfüllte

Frage: Es heißt ja, Bismarck habe der kolonialen Expansion eher kritisch gegenübergestanden. Inwieweit waren Hamburger Unternehmer und Politiker an einer Änderung der Kolonialpolitik beteiligt bzw. haben deutsche koloniale Besitzungen forciert?

Jürgen Zimmerer: Nachdem sich bereits mehrfach einflussreiche Hamburger Kaufleute mit Schutzgesuchen und Denkschriften an die Regierung gewandt hatten, forderte 1883 die Handelskammer Hamburg über den Senat der Stadt Bismarck dazu auf, deutsche Schutzgebiete in Westafrika auszurufen. Ein Jahr später war es dann soweit, und Tansania, Namibia, Kamerun und Togo, um die heutigen Namen zu nennen, wurden deutsche Kolonien. Sicherlich fiel Bismarck die Entscheidung, gegen seine Überzeugung, die ersten Schritte zu einem deutschen Kolonialreich zu tun, leichter, weil so einflussreiche Gruppen wie Hamburger Wirtschaftskreise dahinter standen.

Frage: Welche Auswirkungen hat die Kolonialzeit heute noch in ehemaligen deutschen Kolonien aber auch in Hamburg? Bestehen etwa koloniale Handelsstrukturen fort?

Jürgen Zimmerer: Diese Frage lässt sich nicht auf die Schnelle beantworten, da dabei jede einzelne Kolonie eigens betrachtet werden muss. Aber dass beispielsweise in Namibia etwa viele Farmen bis heute im Besitz von „Weißen“ sind, ist eine Konsequenz der deutschen Kolonialherrschaft und insbesondere des Genozids an den Herero und Nama.

Die Fragen stellte Kali Richter.

 

Kali RichterKali Richter studiert Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg. Für den Universitäts-Blog Hamburgische Geschichten ging sie auf Spurensuche, um mehr über die koloniale Vergangenheit und Relikte ihrer Heimatstadt herauszufinden. Auf dieser Suche stand ihr auch Prof. Dr. Zimmerer Rede und Antwort.

 

 

 

Jürgen ZimmererProf. Dr. Jürgen Zimmerer ist Leiter der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“ an der Universität Hamburg.