Als Knotenpunkt des Zwischenhandels mit Kolonialwaren innerhalb Europas mit nur begrenztem Direkthandel mit den Kolonien sorgte Hamburg teils unbeabsichtigt, teils gezielt für eine gewisse räumliche Distanz zur Sklaverei, ohne dabei jedoch Profite aus dem System auszuschlagen. Die Präsenz Schwarzer Menschen in der Stadt war dadurch zumindest nicht vorgesehen und praktisch keine Selbstverständlichkeit. Doch entgegen der weit verbreiteten Vorstellung eines ‚Weißen‘ Europas in der Frühen Neuzeit finden sich in den Quellen diverse Gegenbeispiele aus der Region Hamburg.

Der wohl bekannteste Fall der Präsenz Schwarzer Menschen im frühneuzeitlichen Hamburg und Umgebung stammt aus der zweiten Hälfte der 1760er Jahre: Mindestens 12 Schwarze Kinder und junge Männer kamen nach Europa, allerdings nicht freiwillig. Der Kaufmann und dänische Schatzmeister Heinrich Carl von Schimmelmann hatte sie mit einer Mischung aus Profitdenken und Zivilisierungs-Anspruch nach Europa bringen lassen. Die Jugendlichen sollten im Hamburger Umland eine handwerkliche Ausbildung erhalten und zugleich christlich getauft und weiter erzogen werden. Sie alle hatten gemeinsam, dass die Verschiffung nach Europa nichts an ihrem Sklavenstatus änderte – Schimmelmann behielt die volle Kontrolle, forderte ausdrücklich Berichte über ihre Fortschritte und wollte sie nach Abschluss der Ausbildung wieder auf seinen karibischen Plantagen einsetzen. Für einige von ihnen endete die Zeit in Europa jedoch noch gravierender: einer der Gruppe, getauft Carolus, starb an den Folgen einer Knieverletzung, Jantje an Fieber und einem „‘Blutsturz‘“.[1]

Heinrich Carl Schimmelmann mit seiner Frau und einem versklavten Diener, vermutlich getauft Heinrich Carl. Gemälde von Lorens Lönberg, ca. 1773, Frederiksborg, Nationalhistorisches Museum, Public Domain.
Heinrich Carl Schimmelmann mit seiner Frau und einem versklavten Diener, vermutlich getauft Heinrich Carl. Gemälde von Lorens Lönberg, ca. 1773, Frederiksborg, Nationalhistorisches Museum, Public Domain.

Statt im Handwerk mussten einige der Kinder auch als Diener der Familie Schimmelmann arbeiten. Aus diesem Zusammenhang stammt ein bekanntes Bildnis: Der Künstler Lorens Lönberg stellte das Ehepaar Schimmelmann um 1773 mit einem Schwarzen Diener dar, vermutlich dem 12-Jährig nach Europa gebrachten Heinrich Carl, getauft nach Schimmelmann. Kinderarbeit und Versklavung vermischen sich hier mit Exotisierung und Zurschaustellung – Schwarze Menschen mussten im Alten Reich verhältnismäßig oft in öffentlich exponierten Positionen arbeiten, um die Kuriosität der Mehrheitsbevölkerung zu befriedigen und Weltläufigkeit zu betonen. Hausbedienstete, Kutscher oder Musiker waren typische Rollen, die ihnen zugeordnet wurden.[2] Eine akademische Karriere, wie sie Anton Wilhelm Amo ab den 1720er Jahren an den Universitäten Wittenberg, Halle und Jena hinlegte, stellte die große Ausnahme dar.[3]

In Hamburg sind Schwarze Menschen jedoch nicht erst seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts präsent. In den Haushalten portugiesischer Kaufleute im Raum Hamburg befanden sich schon im frühen 17. Jahrhundert vereinzelt Schwarze Bedienstete. Nicht immer ist klar, ob sie versklavt oder frei waren, möglicherweise änderte sich dieser Status auch im Lauf ihrer jeweiligen Leben durch eine Freilassung.[4] Für die Zeit ab etwa 1790 konnte Annika Bärwald dann eine größere Zahl – etwa 230 – Schwarzer Menschen nachweisen, die etwa unabhängig in Zeitungsannoncen Arbeit suchten, zugleich aber ebenfalls Anzeigen zu entflohenen Sklaven.[5] Wie im restlichen Alten Reich dürfte ihr Leben von rechtlicher und wirtschaftlicher Unsicherheit sowie von Rassismus geprägt gewesen sein – im 18. Jahrhundert war der Freiheitsstatus immer wieder auch juristisch umkämpft, oft zum Nachteil der Betroffenen.[6]

Erst im Lauf des 19. Jahrhunderts distanzierte sich die Stadt Hamburg dann so deutlich von der Sklaverei, dass formelle Unfreiheit in der Stadt selbst nicht mehr möglich war. Doch selbst diejenigen, die eindeutig frei waren, mussten sich meist unterordnen und eine exotisierende Behandlung ertragen. So etwa Abbega und Dorugu, die der Afrikareisende Heinrich Barth 1857 mit zurück nach London und Hamburg brachte, nachdem seine Expeditionsgruppe sie aus der Sklaverei freigekauft hatte. In einem autobiografischen Text beschreibt Dorugu eine unangenehme Situation, in der sich Neugierige „‘wie ein Schwarm Bienen‘“ auf ihn und seinen Begleiter gestürzt hätten.[7] Da Alltagsrassismus bis heute nicht verschwunden ist, sind solche historischen Beispiele keine große Überraschung. Sie verdeutlichen aber, das bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Präsenz Schwarzer Menschen in der Region zumindest in manchen Fällen als Besonderheit wahrgenommen wurde.

Mit der stärkeren direkten Einbindung Hamburgs in den Welthandel und schließlich der Kolonialreichsgründung 1884 stieg ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch die Zuwanderung von Schwarzen Menschen und auch anderen People of Colour in die Stadt. So etablierte sich eine kleine chinesische Community in der Nähe des Hafens, die sich jedoch immer wieder polizeilichen Repressalien ausgesetzt sah.[8] Diese Beispiele deuten die Realität des Lebens im ganz überwiegend Weißen Hamburg an und zeigen zugleich, dass die internationale Migration nach Deutschland nicht erst in den letzten Jahrzehnten entstand. Seit etwa 1600 lebten in Hamburg Schwarze Menschen, die besonders in den ersten Jahrhunderten in der Regel nicht freiwillig in die Stadt kamen – die Sklaverei erreichte also Hamburg direkt.


[1] Martin, Peter, Schwarze Teufel, edle Mohren. Afrikaner in Geschichte und Bewußtsein der Deutschen, Neuausgabe, Hamburg 2001. Zitat S. 167, mehr 162–167. Oft sind nur die Taufnahmen oder klischeehafte, in der Karibik vergebene Namen überliefert, nicht die afrikanischen Namen der Betroffenen.

[2] Für ähnliche Beispiele aus Bremen siehe Hagedorn, Jasper Henning, Bremen und die atlantische Sklaverei. Waren, Wissen und Personen, 1780–1860, Baden-Baden 2023, S. 331–352.

[3] Exemplarisch für die vielen jüngeren Veröffentlichungen zu Amo: Mabe, Jacob Emmanuel, Anton Wilhelm Amo interkulturell gelesen, verbesserte und aktualisierte Auflage, Berlin 2020.

[4] Poettering, Jorun, Handel, Nation und Religion. Kaufleute zwischen Hamburg und Portugal im 17. Jahrhundert, Göttingen 2013, S. 199f.

[5] Etwa 230 Menschen zuzüglich einer unbekannten Zahl, die nicht in den Quellen zu finden sind, zwischen 1750 und 1840 lt. A. Bärwald, die das Thema im Rahmen ihrer Dissertation bearbeitet: Bärwald, Annika, Fugitives in a Free City: Hamburg and Its Handling of Slavery in the Eighteenth and Nineteenth Centuries 2023, https://ageofrevolutions.com/2023/06/15/fugitives-in-a-free-city-hamburg-and-its-handling-of-slavery-in-the-eighteenth-and-nineteenth-centuries/ sowie Bärwald, Annika, Black Hamburg: People of Asian and African Descent Navigating a Late Eighteenth- and Early Nineteenth-Century Job Market, in: Beyond Exceptionalism. Traces of Slavery and the Slave Trade in Early Modern Germany, 1650–1850, hrsg. v. Rebekka von Mallinckrodt / Josef Köstlbauer / Sarah Lentz, Berlin 2021, S. 188–214.

[6] Siehe für juristisch ausgetragene Konflikte: Mallinckrodt, Rebekka von, Verhandelte (Un-)Freiheit: Sklaverei, Leibeigenschaft und innereuropäischer Wissenstransfer am Ausgang des 18. Jahrhunderts, in: Geschichte und Gesellschaft 43 (2017), 347–380.

[7] Zitiert nach Zehnle, Stephanie / Sarah Benneh-Oberschewen, Eine afrikanische Entdeckung Hamburgs. Die interkulturellen Reisen Heinrich Barths und seiner Expeditionsdiener in Afrika und Europa., in: Hamburg: Tor zur kolonialen Welt. Erinnerungsorte der (post-)kolonialen Globalisierung, hrsg. v. Jürgen Zimmerer / Kim Sebastian Todzi, Göttingen 2021, S. 355–372, S. 369.

[8] Siehe Amenda, Lars, Fremde – Hafen – Stadt. Chinesische Migration und ihre Wahrnehmung in Hamburg 1897–1972, München / Hamburg 2006.