von Julian zur Lage
„Aus Hamburg starben für Kaiser und Reich“ – „in China“ – „in Afrika“ – die Namen der Gefallenen – „Ehre ihrem Andenken“, so die Aufschrift einer ansonsten unkommentierten Plakette in der Hamburger St. Michaeliskirche, dem ‚Michel‘. Gewidmet ist sie Kolonialsoldaten, die in Folge der deutschen imperialen Bestrebungen um die Wende zum 20. Jahrhundert in China und auf dem Gebiet der heutigen Staaten Namibia und Tansania fielen. In allen Fällen handelt es sich um Kriege, die von einer massiven Asymmetrie zugunsten der europäischen Truppen geprägt waren und besonders im Fall der Bekämpfung von Herero und Nama als Genozid einzuordnen sind.
Errichtet wurde das Denkmal nach dem Brand der Kirche 1906, nach einem Impuls Kaiser Wilhelms und unter breiter Unterstützung durch Hamburger Veteranenverbänden wie auch Stadt und Kirche. Die Gedenktafel sollte wie auch die relativ große Zahl an ähnlichen Denkmälern aus den Jahren von etwa 1905 bis 1914 zu einer Verankerung des kolonialen Gedankens in der Bevölkerung beitragen. Gleichzeitig war sie Teil des seit dem 19. Jahrhundert an Bedeutung gewinnenden, militaristisch geprägten allgemeinen Gefallenengedenkens, wie die am gleichen Ort angebrachten Tafeln für die Opfer innereuropäischer Kriege verdeutlichen.
Bis zur nächsten Jahrhundertwende erhielt die koloniale Gedenktafel kaum Aufmerksamkeit, erst auf Initiative zivilgesellschaftlicher Gruppen begann eine kritische Auseinandersetzung. 2002 und 2013 erfolgten Veranstaltungen in der Kirche, letztere nutzten Aktivist*innen zur Aufstellung einer kontextualisierenden Tafel mit Bildern der Kriegsverbrechen deutscher Soldaten (siehe Abbildung) – die allerdings von den Kirchenverantwortlichen 2016 wieder abgebaut wurde. Auf anhaltende Kritik reagierte die Gemeinde mit der Auslage von Informationsmaterial im Gebäude, während vergleichbare Denkmäler wie eine Tafel in der Christus- und Garnisonskirche Wilhelmshaven eine deutlichere Abgrenzung in Form eines Plexiglasscheibe mit Text und Bild zum Gedenken an die Opfer des deutschen Kolonialismus vorgebaut bekam.
Abschließend ist daher zu betonen, dass in St. Michaelis noch über 100 Jahre nach der Errichtung ein koloniales Denkmal ohne historische Einordnung zu sehen ist. Das Gedenken gilt Kriegsfreiwilligen, die aktiv an asymmetrischen, teils genozidalen Kolonialkriegen teilnahmen. Somit wird deutlich, dass die Gedenktafel in St. Michaelis trotz der Arbeit kolonialismuskritischer Initiativen bis heute keinen postkolonialen oder gar antikolonialen, sondern immer noch einen kolonialen Erinnerungsort darstellt.
Mehr zum Thema finden Sie im Band: Hamburg: Tor zur kolonialen Welt. Erinnerungsorte der (post-)kolonialen Globalisierung.